1107 Knurx (Teil 3)


Knurx

Eine Telephonzelle! – Daß es so etwas noch gibt, daß so etwas noch jemand braucht? Gibt es denn noch irgendjemanden, der kein Handy besitzt? Muß wohl so sein, denn schließlich zahlt es nicht ja nicht aus nur für Leute den Apparat aufzustellen, denen gerade ein Mercedes über das Handy gefahren ist. Ich zwänge mich durch die Schwingtür hinein, und suche automatisch nach der Menütaste, um zum Telephonbuch zu gelangen. So ein komisches Telephon, doch warum sollten auch in einem öffentlichen Telephon meine Nummern eingespeichert sein. Mißtrauisch betrachte ich das gelbe Buch, das unter dem Telephon liegt. Dem Buch verweigere ich mich ein weiteres Mal, und entschließe mich auf andere Weise in die Stadt zu gelangen. Doch wie? Ist nicht unserem Haus gegenüber eine Bushaltestelle? Sie ist mir deshalb erinnerlich, weil ich mich immer so über die Verzögerungen ärgere, die ich durch die Busse und ihre Fahrgäste in Kauf nehmen muß. Jetzt bin ich dankbar, daß sie da ist.  Ich stelle mich zu den Leuten dazu, die schon warten. Ich schließe daraus, daß bald ein Bus kommen muß. Wirklich! Wenige Sekunden später hält der Bus und ich steige ein. Der Buschauffeur nennt mir den Preis. Ich beginne meine Taschen zu durchsuchen. Hinter mir ist ein deutliches Murren der Einsteigewilligen zu vernehmen, als eine Hand von hinten nach vorne gestreckt wir und etliche Münzen klimpern. „Ich zahle für den jungen Mann mit.“, sagt eine, offensichtlich zur Hand gehörige, Stimme. Ich drehe mich um. Eine ältere Dame im eleganten Kostüm lächelt mich mitleidig an. „Warum tun  Sie das?“, frage ich sie, nachdem ich meine Verwirrung einigermaßen überwunden habe. „Weil Sie“, antwortet sie höflich, aber mit einem unübersehbar spöttischen Blick auf mein Äußeres, „offensichtlich kein Geld haben, und mir kommt es auf die paar Euro nicht an.“, und damit schlängelt sie sich grazil an mir vorbei, um auf einen de hinteren Reihen Platz zu nehmen. „Wie kommen Sie darauf?“, murmle ich noch als ich an mir heruntersehe. Ich möchte bei diesem Anblick fast selbst Mitleid mit mir bekommen. So wie ich war, in Hausanzug, Pantoffeln und der unübersehbaren Schokoriegel-Spur, die meine Tochter an mir hinterlassen hat, war ich aus dem Haus gelaufen. Ich mußte wirklich einen beklagenswerten Eindruck machen. Aber ich habe keine Zeit länger darüber nachzudenken, denn der Bus fährt schon los. Wo fährt er eigentlich hin? Er wird schon irgendwo hinfahren, und dort, wo es mir günstig erscheint, dort werde ich aussteigen, lege ich mir meine Vorgangsweise zurecht. Erschöpft lasse ich mich in einen Sitz niedersinken. Ich bin gerade daran einzudösen, als mir die Frage aller Fragen durch den Kopf schießt und mich aufschrecken läßt: Was ist ein Knurx? Die Frage aller Fragen, und er Auslöser für das ganze Desaster. Der Bus fährt und ich sehe aus dem Fenster. Was für ein eigenartiges Gefühl sich nicht auf den Verkehr konzentrieren zu müssen, sondern sich einfach ziellos die Gegend ansehen zu können. Irgendwie ist es mir als würde ich meine Heimatstadt zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit wirklich sehen. Von Ferne dämmert mir die Erinnerung an die Zeit, da ich spazieren ging, einfach so durch die Gassen, ziellos. Wie lange das wohl her ist?

Ich hatte wohl nicht erwarten können, daß der Bus vor der Haustür des Professors haltmacht, aber jetzt wird die Gegend immer unbekannter und das Gefühl im Magen immer flauer. Ich beschließe bei der nächsten Haltestelle auszusteigen Immer weiter weg scheint mich der Bus von meinem Ziel zu führen. Ich steige aus, und versuche mich zu orientieren. Wenn ich es richtig vermute, dann werde ich zu Fuß zumindest eine, wenn nicht gar zwei Stunden bis zum Haus des Professors gehen müssen. Oder sollte ich einfach umdrehen und es bleiben lassen? Nein, nicht so knapp vor dem Ziel resignieren. Woher meine Sicherheit kommt, da der Professor die Antwort auf meine Frage weiß? Er muß es einfach wissen! Ich klammere mich an diesen Gedanken wie der Ertrinkende an deinen Strohhalm. Ich gehe los. Außerdem ist zu Fuß gehen gesund. Als ich jedoch drei Stunden später beim Haus des Professors ankomme, frage ich mich, keuchend nach Luft schnappend, was an zu Fuß gehen so gesund sein kann. Ich bemitleide mich und meinen zerschundenen Körper.

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