„Warum?
Ja, warum? Da gibt es viele Antworten, aber laß mich ganz schlicht von vorne
anfangen.“ „Wo ist vorne?“, unterbrach sie ihn schon wieder, in ihrer
vorwitzigen, ungeduldigen Art, die nach dem Ende der Geschichte verlangte,
bevor er noch angefangen hatte zu erzählen. Sicher, abendfüllend müßte sie schon
sein, diese Geschichte – in höchstens zwei Sätzen. „Wenn Du mich ausreden
lassen würdest,“, unterstrich er den sanften Druck seines Zeigefingers auf
ihren Lippen, „würde ich Dir all Deine offenen Fragen beantworten. Denk nur an
die Geschichte mit dem Apfel. Wenn Du mich damals hättest ausreden lassen,
wären wir noch dort … .“ „Schieb nicht
wieder alle Schuld auf mich,“, gab sie trotzig zurück, „wie diese
antifeministischen Interpreten.“ „Wenn Du so weitermachst bestätigst Du sie
doch selbst.“, entgegnete er milde lächelnd über ihr beherztes, ungemildert
feuriges Temperament. „Du weißt, wir haben die ersten tausend Jahre nach
unserer Vertreibung aus dem Paradies mit kaum etwas anderem verbracht, als
darüber zu streiten, wer denn nun schuld war. Und der Herr hat uns ja auch
nicht ganz verstoßen. Er ist bei-uns geblieben. Wohl ein wenig anders als
vorher, aber Er blieb. Und was noch sehr wichtig ist, Er hat uns zusammen
gelassen. Er hat uns nicht wieder getrennt und der Sprachlosigkeit ausgesetzt.
Milder hätte kein Herr mit uns verfahren können, zumal nach dem, was wir Ihm
angetan haben, und nicht Er hat uns das Leben schwer gemacht, sondern wir uns
selbst. Viel zu viel Zeit haben wir damit verbracht gegeneinander zu sein,
statt dessen hätten wir miteinander danken sollen für das, was uns geschenkt
wurde und wird … aber siehst Du, jetzt hast Du mich schon wieder so weit, daß
ich vor lauter Entgegnungen fast vergessen hätte, daß ich einiges richtig zu
stellen habe.“ Ganz sacht schmiegte sie sich in seinen Arm, die rechte Hand auf
seine Brust gelegt, „Gut, ich werde versuchen Dich so wenig wie möglich zu
unterbrechen.“, sagte sie in erwartungsvollem Ton. „Wir werden sehen.“, nahm er
ihr Anerbieten, betont skeptisch zur Kenntnis, und fuhr fort.
„Von
einem auf den anderen Moment war ich da in die Welt gesetzt worden, inmitten
all der wunderschönen Pflanzen, lustig umherspringenden, schwimmenden,
fliegenden Tieren. Es muß wohl Sommer gewesen sein, denn die Jungen der
verschiedensten größeren Säugetieren begannen gerade sich von der Mutter
abzunabeln. Die Früchte des Feldes, der Bäume und Sträucher waren prächtig
gereift, dank des hervorragenden Klimas, das das Gebiet zwischen Euphrat und
Tigris, auszeichnet. Plötzlich war ich da mitten drinnen. Ich bediente mich der
Früchte, die in solcher Überfülle zu Gebote standen, daß sie für all die
verschiedenen Tiere, und darunter auch für das seltsamste, nämlich mich,
ausreichten. Die Tiere waren mir nicht feind. Sie ließen sich aber auch nicht
weiter stören. Ich war für sie einfach da. Sie kamen zu mir, besahen mich
eingehendst und stellten sich mir vor, jedes nach seiner eigenen Art. Und mit
allen von ihnen schloß ich Freundschaft, doch mit einem ganz besonders: Mit
einem kleinen Pony, das mir nicht mehr von der Seite wich, und zu dessen
Gedenken ich unserer jüngsten Tochter dieses kleine Hutschpferdchen geschnitzt
hatte. Es ließ mich, wenn ich vom Umherstreunen müde war, au f seinem Rücken
sitzen. Leichten Fußes trug es mich derart bis zu den äußersten Rändern des
Deltas. Da sah ich das Meer, und auch die beiden Flüsse. Ich schloß auch mit
den Fischen und Tieren aller Art, die im und beim Meer lebten, Freundschaft.
Alle kamen sie um mich zu sehen – denn es gab kein zweites Tier, das so aussah
wie ich. Und Gott kam mich besuchen. Jedes Mal, wenn die Sonne die Erde in ihr
Licht tauchte, kam Er, und wenn das Licht wegging, zog auch Er sich zurück. Er
erklärte mir alles – die Sonne, den Mond und die Sterne, die Tiere und die
Pflanzen. Er gab mir die Hand und ging mit mir spazieren – und ich wußte, da Er
mit mir war, immer, wenn ich die Augen öffnet, bis ich sie wieder schloß, und
während des Schlafes war ich geborgen in seiner Hand, wie alles andere, was Er
so wunderbar gemacht hatte. Alles war gut, denn Er hatte es gemacht, doch nur mit
mir ging Er spazieren. Mein Pferdchen streichelte Er hatte es lieb. Er freute
sich, wenn das Kälbchen sich gut entwickelte. Er beobachtete gespannt wie das
Fohlen sich mühte sich auf seinen schwachen Beinen aufzurichten. Und klatschte
in die Hände, als es ihm gelang. Jedem Geschehen schenkte Er seine innigste,
liebevollste Zuneigung, doch nur mit mir ging Er spazieren und gab es mir zu
verstehen. Ich denke, ich verstand es auch, nur warum ich es verstand, und vor
allem, warum nur ich, das verstand ich nicht. Obwohl ich mit allen Tieren
Freundschaft geschlossen hatte, gehörte ich doch nicht ganz zu ihnen. Irgendwie
hatte ich von jedem von ihnen etwas, worin es mir überlegen war oder was ich
nicht hatte. Zu aller erst waren von jeder Art mehrere da, im mindesten zwei,
von manchen Arten gar deren hunderte, ja tausende. Nur ich war der einzige
meiner Art – das seltsamste Tier, da das vereinzelste. Auch mein Pony hatte
Artgenossen, denen es zuwieherte, und die ihm antworteten. Da dachte ich mir,
Du mußt auch wiehern. Ich versuchte es, jedoch, da kam kein freudiges Wiehern
zurück, wie ich es bei meinem Pony erlebt hatte, sondern nur ein erstaunter
Blick. Nun versuchte ich es bei den Ziegen, bei den Vögeln und all den anderen
Tieren, doch überall, wo immer ich es auch versuchte, dasselbe Resultat: ein
erstaunter, verständnisloser Blick. Das sah auch Gott, der mit mir
spazierenging, daß ich traurig war, und immer trauriger wurde. Weil Er all
seine Geschöpfe liebt, konnte Er es nicht dulden, daß eines unter ihnen, und
sei es der kleinste Floh, traurig war. Daher sprach Er: ‚Es ist nicht gut, daß
der Mensch alleine bleibt.‘ Und zum ersten Mal seit meiner Ankunft fiel ich in
tiefen Schlaf während die Sonne noch hoch am Himmel stand, und …“
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