„Untersteh
Dich mir jetzt die Geschichte mit der Rippe zu erzählen.“, fuhr sie aufgeregt
dazwischen. „Wie kommst Du denn auf die Idee. Wir wissen doch beide allzu gut,
daß das nicht stimmt, allerdings war das – und das wissen wir ebenso – auch
nicht die Intention derer, die unsere Geschichte niederschrieben. Das sie dann
allerdings später so interpretiert wurde, dafür kann niemand etwas.“, gab er
ihr zurück. „Es geht nun darum dies richtig zu stellen“, fuhr er fort, „und die
eigentliche Intention, die sich hinter der Verwendung dieser Metapher verbirgt,
offenzulegen, und daß es sich bei dieser Metapher um eine der schönsten
überhaupt handelt, dann wirst Du mir doch zustimmen müssen.“ „Natürlich,“,
erwiderte sie nachdenklich, „doch was nützt die schönste Metapher, wenn sie
nicht mehr recht verstanden wird oder richtig verstanden werden will. Hören
werden sie, heißt es, hören aber nicht verstehen.“ Er sah ihr offen in die
Augen, sprach, und es klang traurig.
„Und wie
lange, wie lange haben wir nicht richtig verstanden … nicht nur gewußt, sondern
erfahren und nicht verstanden …?“, so traurig, als wollte er all das
Durchlittene in diesem einen Satz bündeln – vegetierend, losgelöst – damals –
Dich verloren, Dich, und scheins eine unendlich lange Zeit nicht
wiedergefunden, doch vielleicht war es nur die eine Nacht, in der wir traumlos
schlafend das Bild nicht mehr fanden, das von Dir. – Du mich an der Hand
nahmst, und ich nichts spürte als mich selbst – kalte, eiskalte Erkenntnis,
damals, als wir lernten Ich zu sagen, und uns zu behaupten. Nicht, daß wir den
Apfel nahmen war die Sünde, sondern, daß wir ihn nahmen und sagten, ‚Ich will!‘
Da erst tratst Du aus mir heraus, weg, in gänzliche Eigenständigkeit.
Verbissen, verbohrt ineinander – niemals wieder so viel Ferne zwischen uns. Und
der Schrei des Entsetzens klingt noch immer durch das Universum, wohin, wohin
habe ich Dich verlassen, wohin Dich vergraben, daß ich Dich nicht mehr finden
kann, wohin mich abgewendet, wohin mich verloren, in die ewige Dunkelheit? Das
Selbstverständliche des Du-sagen, des Dich-sprechen, wurde überlagert vom
Bewußtsein, und darunter begraben – wir hatten Ich gesagt, wir hatten gewollt,
mich selbst – und dann nichts mehr. Im Schweiße unseres Angesichts sollten wir
arbeiten – nicht die Arbeit war geworden, sondern wir blind – aneinander und
füreinander, blind für das Innerste unseres Wesens, und damit auch für alles
uns Umgebende. Das Trennende im Ich-Sagen war, und es gebar den Haß. Und
wollten wir uns in die Augen sehen, so mußten wir danach tasten. Ich stand
darauf, breit und schwer, so schwer, daß kein Lichtstrahl es durchbrechen
konnte. Dunkel war die Nacht des Ich, dunkel wie die Nacht. „Und die Erde war
wüst und wirr.“ In uns war es wüst und wirr. Dürstend, ersterbend nach dem Wort
des Lebens. Vom falschen Brot hatten wir uns genährt, von der Selbstsucht, die
uns umso hungriger zurückließ, je mehr wir uns an ihr zu sättigen suchten.
Fleisch an Fleisch – heftig, betäubt, fragten wir, wo bin ich hinweg von Dir,
Du, das ich spüre, und nicht mehr spüre, Du, das ich vernehme und nicht mehr
verstehe, Du, das ich war und nicht mehr bin. Du, wohin bist Du mir
weggegangen. Die Nacht der endlosen Frage – und der Verweigerung zu vernehmen.
In jedem
von uns vollzieht sich diese Nacht einmal, mehrmals, wenn wir nicht gar ganz in
ihr stecken bleiben. Manche lernen zu vegetieren – und verbleiben in der ewigen
Nacht der Ich-Einsamkeit, fernab der Liebe, der Wahrheit, der Sprache – fernab.
Doch wo die Sehnsucht bleibt, da können wir nie zulassen uns mit der Leere zu
versöhnen. Der Schmerz in meinem Herzen, macht aufmerksam auf den Platz, an dem
Du fehlst - und ich sage, mir fehlt eine
Rippe. Was ist es um diese Rippe, von der ich sage, daß sie mir fehlt? Nur der
Schmerz, der mich durchbohrt, ihn sagbar zu machen? Ist es denn so wenig
existenziell? Bloß ein Knochen, beliebig variierbar mit einem anderen, so daß
ich ebenso gut sagen könnte, mir fehlt der Ringfingerknochen oder der
Schienbeinknochen? Die wären sogar verständlicher, denn dann wäre doch
zumindest eine wichtige Funktion außer Kraft gesetzt, aber wenn da bloß eine
Rippe fehlt – dann kann mich das vielleicht stören, und sei es nur aus
Symmetriegründen, doch ansonsten bleibe ich funktionsfähig. Oder geht es dabei
doch um etwas anderes? Laß uns diese Rippe mal ein wenig eingehender
betrachten. Was für eine Funktion haben Rippen? Zunächst sollen sie die
lebenswichtigen Organe schützen – das Herz und die Lungen, den Brustkorb
stützen. Und dann, meine ich auch nicht irgendeine beliebige Rippe, sondern die
eine, links zunächst dem Herzen. Das, was ich meinem Herzen zunächst stelle,
das ist mir vertraut, und dem bin ich vertraut, dem habe ich mein Innerstes
offenbart, und er mir das Seine, von dem bin ich erkannt worden, und den habe
ich erkannt, weil er sich von mir erkennen ließ. Dort, wo diese Rippe ist, das
ist Dein Platz in mir. Ich gebe die Rippe – ich mache mich freiwillig ein wenig
schutzloser für Dich, ich gebe einen Teil dessen weg, das mich schützt – ich
mache mich angreifbar, erkennbar, gebe mich offenbar. Ich gebe mich preis, um
Dich ankommen lassen zu können – dort, an der verwundbarsten Stelle meines
Körpers, dort kannst Du mich treffen. Und Du erweist Dich mir in Deiner Liebe,
wenn Du mich schützt, stützt und stärkst, wenn Du mich in Dir ebenso umschließt
wie diese Rippe – nur so konntest Du zu mir kommen, nur deshalb kannst Du mich
töten. Und der Schmerz, wenn Du gehst, ist der des Preis-gegeben-seins und
–bleibens. Die Rippe fehlt – Du bist nicht mehr. Dieser Platz bleibt leer, und
kann nur von Dir wieder eingenommen werden. Der Verlust der Rippe, als Symbol
der innigsten Vereinigung zwischen mir und Dir, zwischen Du und Du.“
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