Unbewußt hatte er sie noch fester in die
Arme geschlossen, so, als wollte er den Gedanken an die Schutzlosigkeit, an die
Verlassenheit abwehren, indem er sich spürbar vergewisserte: Du bist noch da
und alles ist gut. „Geschaffen bist Du diesen Platz auszufüllen.“, setzte er
noch bekräftigend hinzu. Bestimmt und unumstößlich klang seine Stimme, einen
Satz klingen lassend, der sich auf einer langen Reise durch alle Erinnerungen
hindurch bis ins Heute geformt hatte – Sprache, Sagen wurde. „Aber bist nicht
auch Du geschaffen mir diesen Platz auszufüllen, mich zu erfüllen? Und wenn ja,
warum findet dies keine Erwähnung?“, setzte sie sinnend hinzu. „Nun, Du kennst
ja diese stilistische Figur, in der ein Teil genannt wird und eine Gesamtheit
gemeint ist,“, antwortete er, „und deshalb muß es sich umgekehrt ebenso
verhalten. An der Stelle, an der Du mir bist, an der bin ich auch Dir. Und
derart gemeinsam sind wir in Gott zu Hause, gehalten und geschützt in Ihm –
gemeinsam sind wir, und ohne einander sind wir nicht, nicht in Wahrheit.
Vielleicht sind wir es noch. Wahrscheinlich würden wir es sogar überleben – was
heißt aber über-leben? Was ist über dem Leben? Das ist ein hauchdünner
Abschnitt in der Atmosphäre von gerade-noch-atmen-können und
gerade-noch-nicht-ersticken, wo ich gerade-noch-mir-selbst-genüge und
gerade-noch-nicht-an-mir-zugrunde-gehe. Es bezeichnet ein Leben fernab der
Sonne, blind vom eigenen Sehen und Genügen findend am eigenen Schatten. Es
entspricht einem Leben fernab der Wärme, der Lebendigkeit – lebloses, steriles,
inkommunikables Leben. Das Sagen hört im Grunde dort auf, wo ich Ich sage – und
es ernst meine. Mit der Rippe sagen wir: nichts kann mir je näher sein als Du
es mir von Anfang an bist, nichts anderem räume ich so viel Platz, und zwar
nicht irgendwo, sondern in mir selbst ein, wie Dir; nichts kann mir je so
entscheidend sein wie Du. Mich dazu entscheiden Du oder Nicht-Du zu sagen, heißt
eine Entscheidung zwischen Leben oder Nicht-Leben treffen. So einfach ist das
alles, und dennoch umgeben von solch unendlicher Tragik. Im Grunde entspringen
alle Probleme der Weltgeschichte dieser einen Verlorenheit, der Du-Verlorenheit
– in Dir, in mir. Dich habe ich gemeint, Dich habe ich angesprochen von allem
Anfang an, wie Du mich. Die biblischen Zeugnisse sind im Grunde nichts anderes
als eine einzige große Entfaltung dieser einen Grundbetroffenheit: Vom Herrn
her bin ich unverwechselbare Aussage und Ansprache seiner Liebe, in der er mich
als sein Du sein läßt. Wie sollen wir es je fassen, wie es je verstehen, was
der Herr Großes an uns getan?“ „Und vor allem,“ hakte sie ein, „wie haben wir
es ihm gedankt? Mit Neid und Bosheit, Haß und Zwietracht – wie konnten wir uns
aus reiner Liebe und zu reiner Liebe geschaffen, so sehr in unserer
Grundbestimmung verfehlen? Wo geschah es?“
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