1807 Im Paradies gab es keine Bücher ... (Teil 3)


Unbewußt hatte er sie noch fester in die Arme geschlossen, so, als wollte er den Gedanken an die Schutzlosigkeit, an die Verlassenheit abwehren, indem er sich spürbar vergewisserte: Du bist noch da und alles ist gut. „Geschaffen bist Du diesen Platz auszufüllen.“, setzte er noch bekräftigend hinzu. Bestimmt und unumstößlich klang seine Stimme, einen Satz klingen lassend, der sich auf einer langen Reise durch alle Erinnerungen hindurch bis ins Heute geformt hatte – Sprache, Sagen wurde. „Aber bist nicht auch Du geschaffen mir diesen Platz auszufüllen, mich zu erfüllen? Und wenn ja, warum findet dies keine Erwähnung?“, setzte sie sinnend hinzu. „Nun, Du kennst ja diese stilistische Figur, in der ein Teil genannt wird und eine Gesamtheit gemeint ist,“, antwortete er, „und deshalb muß es sich umgekehrt ebenso verhalten. An der Stelle, an der Du mir bist, an der bin ich auch Dir. Und derart gemeinsam sind wir in Gott zu Hause, gehalten und geschützt in Ihm – gemeinsam sind wir, und ohne einander sind wir nicht, nicht in Wahrheit. Vielleicht sind wir es noch. Wahrscheinlich würden wir es sogar überleben – was heißt aber über-leben? Was ist über dem Leben? Das ist ein hauchdünner Abschnitt in der Atmosphäre von gerade-noch-atmen-können und gerade-noch-nicht-ersticken, wo ich gerade-noch-mir-selbst-genüge und gerade-noch-nicht-an-mir-zugrunde-gehe. Es bezeichnet ein Leben fernab der Sonne, blind vom eigenen Sehen und Genügen findend am eigenen Schatten. Es entspricht einem Leben fernab der Wärme, der Lebendigkeit – lebloses, steriles, inkommunikables Leben. Das Sagen hört im Grunde dort auf, wo ich Ich sage – und es ernst meine. Mit der Rippe sagen wir: nichts kann mir je näher sein als Du es mir von Anfang an bist, nichts anderem räume ich so viel Platz, und zwar nicht irgendwo, sondern in mir selbst ein, wie Dir; nichts kann mir je so entscheidend sein wie Du. Mich dazu entscheiden Du oder Nicht-Du zu sagen, heißt eine Entscheidung zwischen Leben oder Nicht-Leben treffen. So einfach ist das alles, und dennoch umgeben von solch unendlicher Tragik. Im Grunde entspringen alle Probleme der Weltgeschichte dieser einen Verlorenheit, der Du-Verlorenheit – in Dir, in mir. Dich habe ich gemeint, Dich habe ich angesprochen von allem Anfang an, wie Du mich. Die biblischen Zeugnisse sind im Grunde nichts anderes als eine einzige große Entfaltung dieser einen Grundbetroffenheit: Vom Herrn her bin ich unverwechselbare Aussage und Ansprache seiner Liebe, in der er mich als sein Du sein läßt. Wie sollen wir es je fassen, wie es je verstehen, was der Herr Großes an uns getan?“ „Und vor allem,“ hakte sie ein, „wie haben wir es ihm gedankt? Mit Neid und Bosheit, Haß und Zwietracht – wie konnten wir uns aus reiner Liebe und zu reiner Liebe geschaffen, so sehr in unserer Grundbestimmung verfehlen? Wo geschah es?“ 

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