Utopia
„Wo finde ich Dich?“, fragtest Du mich, und
ich sah Dich an, entzweit, weil ich nicht genau abzuschätzen vermochte, in dem
Moment, ob Du die Frage so meintest, eben so wie Du sie aussprachst. Ich
schüttelte den Kopf. Vielleicht wollte ich ihn abschütteln, den Gedanken, Du
hättest es wirklich so meinen können.
„Nirgendwo, am Nicht-Ort. Aber Du weißt es
doch. Du langweilst mich. Immer dieselben Fragen. Immer dieselben Antworten. Es
ist so ermüdend“, entgegnete ich, und sah Dich nicht an, weil ich Dein Zaudern
jetzt nicht brauchen konnte. Jetzt nicht. Was hatte ich denn noch mit Dir zu
schaffen, wo Du Dich nicht einmal mehr des Unmittelbaren entsinnen konntest.
„Spiel kein Spiel mit mir. Wie sollen wir
zusammenkommen, wenn ich nicht einmal weiß wo ich Dich finden kann, wo und
wann?“, fragtest Du weiter. Du hast es nicht verstanden. Du hast mich nicht
mehr verstanden. Es gibt kein Verstehen ohne ein Zueinander, und Dein Blick war
getrübt. Jetzt konnte ich es sehen. Weil ich es wagte. Dennoch wagte.
„Wie sehr hat Dich diese Welt schon in
Beschlag genommen! Wie sehr hast Du Dich einwickeln lassen, einlullen wie ein
Wickelkind. Willst Du jetzt das Smartphone zücken? Soll ich Dir eine Uhrzeit
sagen und einen Ort, am besten mit Koordinaten? Soll ich Dich binden an den
Ort, den Du mit einem einzigen Bild zu beschreiben vermagst? Soll ich Dich auf
einen Punkt in der Latte der Zeitangaben einbinden? Bist Du dann zufrieden? Und
Du machst Dir einen Notiz, zwischen Pediküre und Tennisstunde. Kannst Du mich noch
reinquetschen, irgendwo? Kannst Du mich noch unterbringen?“, fragte ich, und Du
wirktest noch ratloser.
„Wie soll es denn sonst gehen? Was habe ich
nur falsch gemacht?“, und der Ernst war in Deinen Worten und die Sorge und ein
Mitfühlen mit Deiner eigenen Ratlosigkeit. Dabei wollte ich doch sanft sein,
aber Du machst es mir so schwer, manchmal, machst Du es mir so unerträglich
schwer. Sanft. Gütig. Manchmal gelingt es.
„Du hast mich noch immer gefunden. Du musst
mich fragen. Es gibt kein Land, keinen Ort, außer dem einen, der uns ist, der
Wir sind, worin wir uns finden, wenn es sein soll, unermesslich und der
Ewigkeit geweiht. Immer noch haben wir uns gefunden, und der Ort ist ein
Nicht-Ort, der von uns erdacht, erlebt, ins Leben gesetzt, den wir machen, der
uns macht. Ausdruck unseres Wirkens aneinander ist der Ort des Miteinander.
Sinnbild des Unvergänglichen inmitten des merkwürdigen Vergehens, bis in die
Unendlichkeit und noch weiter. Mehr als Alles. Alle Schlichtheit. Werden und
Bestehen und Vergehen. Kreise, die sich ziehen. Nebeneinander, Getrennt.
Ineinander. Vereinigt. Kreuzpunkte, und die Verbindung, die in uns lebt, die
uns lebt. Wenn Du es der Zeit unterwirfst, unterwirfst Du es der
Vergänglichkeit. Dich und mich und Uns. Wenn Du es Sein-lässt, einfach nur,
dann wird es unbenannt ein Moment des Außerhalb aller Zeit. Dort findest Du
mich. Dort finde ich Dich“, mahnte ich ein, und ich sah, wie ein Erinnern Dich
durchfloss und alles wegschwemmte, was Du an Einpanzerungen erfahren und
angenommen hattest. Du warst wieder da.
„Ich werde Dich finden. Du wirst mich
finden. Wir werden sein. Es ist wie wenn der Regen mich mit Morast zudeckte und
die Tränen spülten ihn wieder weg. Beständig fließend, während und belebend. Du
hast mich mir wiedergeschenkt“, sagtest Du, endlich wieder atmend, tief und
lebendig, endlich wieder. Und Du wagtest Deine Flügel, wagtest zu probieren, ob
sie Dich trügen. Stetig stiegst Du auf. Erhobst Dich in den Himmel.
„Wir werden uns finden“, flüsterten meine
Lippen und das Wort ward Kuss.
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