Eine Feder
„Heute hat mich eine Feder von Dir
gefunden“, sagtest Du.
„Ich habe sie fallen gelassen, irgendwo
dort oben, für Dich, habe sie fallengelassen, weil ich wusste, sie würde Dich
finden“, antwortete ich.
„Und sie landete auf meiner Schulter, und
ich trug sie mit mir. Siehst Du den Abdruck? Ein Brandmal. Sie hat sich in mein
Fell gebrannt, nicht durchgehend bis zur Haut, nur ein wenig. So wird sie
bleiben, eine kleine Weile. Ob Du dann noch da sein wirst, wenn das Mal
verblasst ist? Ob Du dann noch da sein wirst, wenn alles um mich
niederbricht?“, fragtest Du versonnen. Ich wusste nicht genau ob Du eine
Antwort hören wolltest, die Du doch schon längst kanntest, oder sollte es
einfach eine Vergewisserung sein. Du kannst nicht wissen was ich weiß, so lange
ich es nicht ausspreche. Du kannst nicht Du sein, so lange es Du nicht zulässt,
dass ich Dich zu sehen vermag, indem Du Dich mir sprichst. Niemand kann das. Es
ist Illusion und Tragik. Die eigentliche und einzige Tragik. Es wirkt alles so klein
und unnötig, von dort oben, wo ich meine Kreise ziehe.
„Ich werde da sein, wenn die Luft lau ist,
werde da sein, wenn der Sturm aufkommt und auch, wenn er wieder abklingt. Ich
werde da sein, wenn alles um uns in Trümmern liegt und den Blick zum Licht und
zum Himmel ungehindert freigibt. Ich werde da sein, wenn der letzte Atemzug
getan wird, so wie ich es beim ersten war. Ich werde da sein“, sagte ich, weil
ich um das Werden wusste, so wie Du.
„Und nachdem sie sich eingebrannt hat, die
Feder in mein Fell, nahm ich sie sanft von der Schulter, so sanft, dass jeder
einzelne Ast unbeschadet blieb. Schwarz war sie, mit einem kleinen weißen
Fleck. Ich nahm sie zwischen die Zähne, hielt sie behutsam und trug sie mit
mir. Die Feder brannte meine Zunge, und ich wurde gereinigt von dem Unsinnigen,
begann zu sprechen, wie noch nie zuvor, fand Worte und Bedeutung in mir, die
zuvor nicht da waren. Ich fand. In mir. Ich fand so vieles was noch der Wortung
bedarf. Ich fand Dich. Brandmal in meinem Fell. Brandmal auf meiner Zunge.
Eingebrannt, dass ich es bewahre Flamme zu sein, inmitten der Kälte und des
Eises“, erzähltest Du mir.
„Ganz leicht ist es sich einzubrennen, aber schwer
die Bedeutung zu akzeptieren, den Schmerz übersteigende Bedeutung. Was nützt
mir der Schmerz ohne die Bedeutung? Manche kommen darüber nicht hinaus, über
den Schmerz und die Bitterkeit, aber was war am Grunde der Büchse der Pandora?
Die Hoffnung. Du hättest Dir die Feder wegreißen können, beim ersten Anzeichen,
wegreißen und nicht zulassen, aber Du hast mir vertraut und Deinen Kräften,
hast nicht sofort wieder den Deckel geschlossen, sondern hast ausgehalten, bis
zum Grund, bis zum Letzten. Deshalb habe ich Dir die Feder geschickt und
niemandem sonst, habe ich Dir mein Brandzeichen geschenkt, und niemandem sonst,
deshalb habe ich mich aus dem Schutz der Weite in die Nähe Deiner ungebändigten
Wildheit begeben“, erzählte ich, und die Flügel dicht am Körper, weil es keine
Flucht gab, weil es nur Hier gab und der Biss war Dein Zeichen, das Du mir gabst,
das meine Federn rot färbte, glänzend im vergehenden Licht der Sonne, und das
Schweigen breitete sich aus, verschlang die Worte, das Nichtssagende, bis nur
mehr übrig blieb was wesentlich war und bleiben wird. Die Feder lag als Symbol
am Boden. Kein einziges Ästchen war verletzt.
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