Die Morgengabe
Niemals hast Du mich anders gesehen als in
der Unmittelbarkeit. Niemals hast Du mich anders wahrgenommen als im direkten
Gegenüber. Gab es denn je etwas Trennendes zwischen uns? Gab es denn je etwas,
was uns wirklich den Weg zueinander ernsthaft hätte versperren können? Gab es
denn je jemanden, der die Kraft gehabt hätte und zu zwingen den Blick
voneinander zu wenden? Der Blick, der in Dich dringt, Dich erforscht, und
wieder zurückkommt. Da ist so viel Nicht-Ich, alles, was Du bist, das sich
zusammenfindet, einend. Und so ward ich in Dir und Du wardst in mir.
Verborgenheit erhebend. Es ward kein Anfang. Es wird kein Ende. Der Moment hat
uns gestählt. Ohne die Sanftheit zu berühren. Wir haben uns gefunden, auch wenn
es schon immer war, im Anfang der Nacht. Und es war unsere Nacht. Fahles
Mondlicht. Brennende Flammen, die uns zuzüngeln. Sanfter Sternenschein. Wahn
ist es, ja, der uns völlig erfasst, so dass wir die Arme ausbreiten und uns
erheben, umkreisend, nach oben, über uns hinaus, weit über uns hinaus, bis das
Firmament klein wirkt, wie der See, eintauchen, weiterfliegen, umrundend, umschlingend,
immer die Augen im Blick, aneinander haltend, fester als Hände es je könnten,
einander verstehend, vergegenwärtigend, und wenn der Morgen anbricht und die
Nacht uns verlässt, dann schlafe ich, während Du Dich wieder erhebst.
„Danke für diese Nacht voller Wunder“,
sagst Du leise.
„Wunder, ja, aber das Wunder sind wir, wir
allein, beflügelnd, erweiternd, ohne abzurutschen in die Profanität, wir,
lebendig“, höre ich mich antworten, während ich spüre, dass der Schlaf mich
sanft umwebt. Der Schlaf, er webt ein feines Netz, kaum spürbar, aber doch
haltend.
„Behaust sind wir in uns. Du schenkst mir
Behaustheit und ich Dir, denn in Dir, wie Du in mir, sind wir geborgen, zu
Hause, gehalten, geschützt. Dies ist die Nacht, die unsere, und dies Wort, das
im aussprechen nicht mehr wird, weil wir es beständig leben, sei doch meine
Morgengabe. Liebste, nachts und tags, dort wie da, ich bin da, in unserem Haus,
das wir uns sind, und das so viel mehr ist als Holz und Ziegel, das wir uns
erbaut haben. Unsere Leiber sind unser Tempel“, sagtest Du mir.
„Die Morgengabe, die Du mir schenkst, ich
will sie Dir zurückgeben, dass wir sie beiden haben. Die Nacht unserer
unauslöschlichen Verbindung, die Nacht unserer Werdung und des Seins, die
Nacht, die uns gehört, die Nacht, die uns vermählt. Weltliche Kategorien
ausblendend, spottend den verzweifelnden Versuchen zu verstehen, wofür es in
der Welt keinen Ort und keine Zeit gibt. Wo wäre Platz für Zeitlosigkeit in der
ganzen Tyrannei des Gehetzt-seins? Wo wäre der Ort für den Nicht-Ort, die
Utopie? Unmöglichkeit – ja unmöglich ist es, dieses unser Miteinander, das so
vorbildlos, und selbst uns immer ein Rätsel bleiben wird“, spricht es aus mir,
fast schon träumend, vielleicht schon träumend.
„Du mir“, sprichst Du Dich mir.
„Du mir“, spreche ich mich Dir.
Die Morgengabe, die sind wir uns selbst,
nichts Begrenzendes, nichts Symbolisches, das doch nur Besitz bedeutet, sondern
pure Freiheit und Grenzenlosigkeit im Miteinander. Das sei die Morgengabe der
Wahrheit, der Nacht an das Licht, des Mondes an die Sonne, von mich an Dich.
Die Morgengabe nach der einen, einzigen
Nacht, die alle Ewigkeit umspannt und nichts auslässt, alles beinhaltet, alles
ist, so lange es Sein bedeutet.
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