Kurz gefasst
Die nette Dame, die mich einlud, doch etwas
zu sagen, etwas, das meinem Denken und Werken und Wirken entströmt, konnte es
gleichfalls nicht unterlassen, mahnend, den Zeigefinger gehoben, diese Worte
ihrem Munde zu entlassen. Nein, ich bitte um Nachsicht, denn ich habe eben
jener Dame Unrecht getan, indem ich sagte, sie hätte, um ihre Worte gestisch
noch zu unterstreichen, den Zeigefinger, diesen dolchstoßartigen zwischen den
vier anderen Gefährten, gehoben. Sie tat es nicht. Hier hat mir wohl mein
Gedächtnis einen Streich gespielt, aber ach, wie oft musste ich ihn schon
erdulden, den Erhobenen. Bei eben jener Dame genügte der Tonfall, dieser
fordernde, keinen Widerspruch duldende, der den gehobenen Zeigefinger bereits
implizierte. Ihn nun tatsächlich wider mich zu Felde zu führen, Schlachten des
Geistes, Fehden der Gelehrsamkeit, es wäre wohl redundant gewesen. Kraftvoll
sich türmend entfalteten die Worte an sich ihre Wirkung. "Fassen Sie sich
kurz, bitte!" Kleinlaut, wirkungslos, hinterhergeschoben dieses Bitte,
unnützes Anhängsel an einen entschleierten Befehl. Aber, so muss ich doch nun
meinerseits fragen, wollen die Hörenden nun Hörende oder Flüchtende? Und
letztendlich, was wird aus dem kurzgefassten? Es wird entstellt, weil nicht
alle Umstände geklärt werden können, weil es wie aus dem Zusammenhang gerissen
wird. Sollte ich also lieber gar nichts sagen, schweigen, und dann wird das
Ungesagte mit abstrusen Dingen gefüllt, wird einem so vieles nachgesagt.
Eigentlich hat man es nicht gesagt, eigentlich auch nicht so gemeint, und doch
wird interpretiert. Wenn ich mir vorstelle, was das für Auswüchse anzunehmen
vermag, unvorstellbar. Sie meinen ich übertreibe? Dann denken Sie mal an den
einen Luftballon, der die ganze Welt auslöschte. Oder so ähnlich. Genau
dasselbe passiert, wenn ich schweige. Es ist also keine Option. Dann doch kurz
fassen, so wie man gebeten wurde, dass man nicht in die Gefahr kommt, dass das
Schweigen missdeutet wird und man letztendlich derjenige ist, der sich
rechtfertigen muss – aber wie kann man Dinge, die man nicht gesagt hat
rechtfertigen? Also doch was sagen und sich an die Vorgaben halten? Kurz fassen
– aber was bedeutet kurz fassen? Geht es um die Länge der Sätze im einzelnen
oder um alle gesagten Sätze als Konglomerat? Was ist kurz? Geht es um die Länge
der Zeit, die meine Ausführungen in Anspruch nehmen? Da wäre doch der klar im
Vorteil, der schneller sprechen kann – was das für verheerende Auswirkungen auf
die Verständlichkeit dies zeitigt, das wage ich gar nicht auszudenken. Was
speziell meine Gedankengänge betrifft, kann ich sagen, dass es wohl eines
gewissen Maßes an mentaler Regsamkeit bedarf um ihnen überhaupt folgen zu
können. So dass das kurz fassen indem die Zeit vollends ausgeschöpft wird,
ebenso zu einem unbefriedigenden bis gefährlichen Ergebnis führt. So bleibt mir
wohl nichts anderes, als diese Anweisung zu ignorieren, ja mehr noch, ihr
bewusst entgegen zu handeln. Ich kann es mit dem besten Willen nicht mit meiner
intellektuellen Redlichkeit in Einklang bringen, den Menschen das Verstehen zu
verstellen, aus falsch gemeinter und falsch verstandener Rücksichtnahme. Es
geht ja gar nicht um mich, sondern nur um meine Hörer und ihr Recht auf eine
lückenlose, alles Wesentliche umfassende Darstellung und Ausführung. Mit
missionarischen Eifer werde ich dies verfolgen und solch unflätige Angriffe auf
die Lauterkeit meiner Person strengstens von mir weisen. Nein, ich werde nicht
wanken und nicht weichen, nicht vor Damen und nicht vor Zeigefingern. Die Welt
hat ein Recht auf mich, und das in aller Tragweite. Mehr habe ich dazu nicht zu
sagen!
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