0502 Anonym (Teil 2):


Eifersucht?



Nachdenklich sah ich Dir zu, wie Du Dich mit dem Brief in der Hand vor den Kamin setztest. Eifersüchtig? Auf Dich? Meine wunderschöne, heitere Schwester?

Ja, man könnte meinen, dass Eifersucht mit im Spiel war. Zehn Jahre warst Du jünger als ich. Und diese Jugend, voll Freude und Feuer, trugst Du wie ein Schild vor Dir her. Anmutig warfst Du Dein blondes langes Haar zurück. Die blauen Augen blitzten. Mit Deinen knapp zwanzig Jahren hattest Du tatsächlich noch alles vor Dir. Du standest am Anfang. Nicht, dass ich meinte, dass man mit dreißig schon alt wäre, aber ich, ich kam mir alt vor. Ich war müde von diesen dreißig Jahren Leben, und bei Dir wirkte es, als hättest Du Dich zwanzig Jahre vorbereitet um nun zu beginnen. so lange ich Dich kannte warst Du immer diejenige, die im Mittelpunkt stand, die die Herzen der Menschen zu verzaubern vermochte. Ich kannte niemanden, der sich Deiner Anmut und Heiterkeit zu entziehen vermochte. Auch ich nicht Ich liebte Dich, und hatte darüber hinaus auch noch das große Glück, dass Du meine Schwester warst.

Marlene, wie Du Dich nanntest, glichst Du einem bunten, heiteren Schmetterling. Eigentlich hießt Du einfach Marlies, aber das passte nicht zu Deinem Künstlerimage. Darstellende Künstlerin warst Du. Manchmal dachte ich insgeheim, dass Du wohl wirklich eine Darstellerin warst, eine Lebensdarstellerin, aber darin warst Du wahrhaft eine Künstlerin. Ich kannte niemanden, der es Dir hierin gleichtun konnte. Darstellende Künstlerin und Muse, das warst Du gerade. Du hattest noch nicht viel unternommen in Deinem jungen Leben, aber was Du unternahmst, das gelang. Vor Dir öffneten sich die Türen, die Du durchschreiten wolltest, als hättest Du diese mit zauberträchtigem Feenstaub bestreut

„Ich werde Dich Glöckchen nennen“, sagte ich unvermittelt. Du wandtest mir Dein schmales Gesicht zu, das vor Aufregung strahlte.
„Wieso das?“, fragtest Du irritiert.
„Weil Du mich an die kleine Fee Peter Pans erinnerst“, erklärte ich Dir, woraufhin Du auf mich zugeflogen kamst und auf die Couch warfst. Ich konnte gerade noch mein Buch vor Dir retten.
„Ach, meine süße, traurige Beatrice. Du tust mir so gut. Du bringst Ruhe in mein Leben“, sagtest Du, und trotz aller Positivität klang es in meinen Ohren wie ein Vorwurf.
„Eigentlich heiße ich Beatrix, und Du wirst meiner wohl bald überdrüssig sein. Es wird nicht lange dauern, und Du wirst Dich langweilen“, entgegnete ich ernst.
„Wie könnte ich? Niemals werde ich Deiner überdrüssig. Du bist der Ruhepol in meinem Leben. Zu Dir kann ich immer zurückkommen“, entgegnetest Du verhalten.
„Eher Ruhekissen. Das gemahnt an einen langen, traumlosen Schlaf. Du bist ein Kind, ein verspieltes, glückliches Kind“, sagte ich nachdenklich. Ich hoffe, Du wirst noch lange in diesem Glück bleiben dürfen, aber das Leben kann auch ganz anders sein.“
„Das weiß ich doch!“, entgegnetest Du mit Überzeugung, „Und Du, Du siehst immer alles viel zu schwarz. Kein Wunder, ist ja auch an Dir alles schwarz. Mach doch mal ein bisschen Farbe in Dein Gesicht oder Deine Kleidung. Du wirst Dich gleich ganz anders fühlen. Aber vielleicht liest Du einfach nur zu viel, alles so abgründig und so voll schwerer Gedanken. Das macht Dir den Kopf schwer und dann ist es klar, dass Du nicht mehr fliegen kannst.“
„Süße kleine Marlene, Farbe und ich, das verträgt sich nicht. Natürlich weißt Du, dass es auch anders sein kann, aber Du hast es noch nicht erlebt, das ist der Unterschied. Hättest Du erlebt, was ich erlebt habe ...“. doch ich brach ab. Es war nicht notwendig. „Lassen wir es, und Dich in Deinem glücksverklärten Zustand. Alles wird gut für Dich. Dafür werde ich sorgen.“ Gedankenverloren strich mit der Hand durch Dein seidiges Haar.
„Dafür werde ich sorgen. Niemand und nichts wird Dir weh tun“, fügte ich hinzu. Vielleicht war es härter ausgefallen, als ich wollte, denn Du setztest Dich ruckartig auf.
„Du machst mir Angst!“, sagtest Du schlicht.
„Das tut mir leid. Sei ruhig! Alles ist gut und bleibt es für Dich“, erklärte ich so sanft wie möglich.

Ja, vielleicht könnte man meinen, dass ich eifersüchtig war, denn ich war ein Schatten neben Dir, kleiner bunter Schmetterling mit den glänzenden und so verletzlichen Flügeln.

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