Auf gute Nachbarschaft
Ich saß auf der
Couch und ließ die Nacht hereinbrechen. Auch wenn mir nichts anderes übrig
blieb, so tat ich zumindest so als ob, denn wenn man sich auf die Seite eines
unausweichlichen Geschehens stellt, so kann man sich noch immer als aktiv
bezeichnen. Starr sah ich aus dem Fenster vor mir. Nichts denken, bloß nichts
denken, denn meine Gedanken zogen sich bedrohlich um einen Punkt zusammen, wie
eine Gewitterwolke.
„Ist ja alles
gut, Babu“, sagte ich leise und beschwichtigend, als sich mein kleiner
schwarzer Hund zu mir legte, den Schnauze auf meine Oberschenkel bettend. Doch
wem wollte ich etwas vormachen. Einem Menschen, da war es leicht so zu tun als
ob, doch dieser kleine Hund, dem konnte ich nichts vormachen. Er ließ mich
reden und machte sich doch nichts aus meinen Worten, die meinem Gemütszustand
so sehr zu wider liefen. Da klopfte es abermals an der Türe.
„Hast Du was
vergessen, Marlies?“, fragte ich, während ich die Türe öffnete, doch da stand
nicht Marlies, sondern mein eigenes Spiegelbild. Ich wusste nicht ob ich meinen
Augen trauen konnte. Babu, der mich zur Türe begleitet hatte, musste es ähnlich
ergehen, denn neben der Frau, die genauso angezogen war wie ich, die gleiche
Frisur hatte und sogar die obligatorischen Handschuhe trug, stand ein schwarzer
Hund, der Babu zum Verwechseln ähnlich sah. Ruhig und vorsichtig beschnüffelten
sich die beiden. Zumindest die Hunde waren sich schnell einig und trollten sich
in den Garten.
„Guten Abend,
Frau O’Fallon!“, grüßte sie höflich.
„Guten Abend,
Frau ....“, kam es stotternd, „Es tut mir leid, aber ich kenne Ihren Namen
nicht.“
„O’Neill, Clara
O’Neill“, half sie mir aus, „Ich bin Ihre neue Nachbarin von gegenüber.“
Automatisch
folgte mein Blick der Richtung, in die ihr Finger wies, doch da war nur ein
Hügel. Wobei das mit der Nachbarschaft in diesem kleinen Ort im Waldviertel ein
dehnbarer Begriff war, denn die wenigen Häuser standen weit voneinander
entfernt, getrennt durch das, was hier noch im Überfluss vorhanden war, Platz. Äcker
und Felder, Wiesen und Wälder, das war es, was hier das Landschaftsbild
bestimmte. Dazwischen wirkten die einzelnen Häuser und Höfe wie verloren.
„Ich wusste gar
nicht ...“, murmelte ich sinnend.
„... dass jemand
eingezogen ist. Ja, das ist auch nicht schwer“, sagte die Unbekannte ernst,
„Obwohl, eigentlich kann man hier nichts geheimhalten. Irgendjemand sieht immer
irgendwas und trägt es ins Wirtshaus. So sind die Menschen.“
„Ja, im
Wirtshaus, da hätte ich es erfahren können, wenn ich denn hinginge“, sagte ich
kryptisch, „Sie sind Irin? Oder haben Sie auch bloß einen Iren geheiratet?“
„Nein, ich bin
Irin“, entgegnete sie, „Aber bis auf das, dass es hier kälter ist als in der
Heimat, fühlt man sich doch gut aufgehoben, von der Weite und der Ruhe.“
„Wenn man das
will“, merkte ich an, als mir endlich auffiel wie unhöflich ich erscheinen
musste, „Wollen Sie vielleicht herein kommen? Auf einen Tee oder einen Whiskey
oder beides?“
„Oder beides
klingt gut“, nahm sie meine Einladung an und folgte mir ins Wohnzimmer, wo ich
ihr einen Platz auf der Couch anzubieten, während ich in die Küche ging um den
Tee zuzubereiten.
„Das duftet aber
herrlich“, sagte sie höflich.
„Ich trinke sehr
gerne Tee, aber zumeist alleine“, entgegnete ich, „Möchten Sie Zucker?“
„Ach ja, gerne“,
antwortete die neue Nachbarin.
„Ich merke
gerade, ich habe den Zucker vergessen“, sagte ich, verärgert über meine eigne
Vergesslichkeit, und ging um den Zucker zu holen. Kurz darauf war ich wieder im
Wohnzimmer, „Hier bitte!“, sagte ich, und reichte ihr den Zucker. „Wann sagten
Sie, sind Sie hierher gezogen?“
„Ich hatte noch
gar nichts gesagt“, entgegnete Clara O’Neill, „Vor sechs Monaten, kurz bevor
Ihr Mann starb. Sie müssen wissen, ich kannte ihn. Sie haben ihn mir
weggenommen. Nichts haben Sie gemerkt, und nun, wo Sie es wissen, müssen Sie es
für sich behalten.“
„Natürlich“,
bestätigte ich irritiert. Das war nicht schwer, schließlich wusste ich
niemanden, dem ich es hätte erzählen können.
„Ich bin mir
sicher, dass Sie niemandem mehr etwas erzählen werden“, merkte Clara O’Neill
an, während mir schwarz vor Augen wurde. War da was im Tee gewesen?
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