Er schläft nur
Magdalena März
hatte den großen, weitläufigen Park durchschritten und besah sich nun die
Psychiatrische Klinik. Es war ein weitläufiger, moderner Bau. Hell und kalt
wirkte er. Ein typischer Bau, bei dem es einzig und allein um Funktionalität
ging. Er wirkte wie ein normales Krankenhaus. Magdalena März öffnete das Tor
und gelangte in eine große Eingangshalle. Geschäftig liefen weißgewandete
Menschen herum. Jeder schien genau zu wissen was er zu tun hatte und wo er hin
wollte. Diese Geschäftigkeit wirkte nicht aufgeregt, sondern entspannt.
„Wie es Frau Merkado
geht, möchten Sie wissen?“, fragte die diensttuende Psychiaterin, die
regelmäßig Dienst tat. Heute war jedoch Montag. Niemand wusste warum sie an
diesem Montag zusätzlich Dienst tat. Es
war absolut unüblich. Doch davon wusste Inspektor März nichts, aber dem
geschulten Auge der Polizei wird auch dies nicht entgehen, auch auf die Gefahr
hin, dass dieser Teil zu einem anderen Puzzle gehört.
„Am besten machen
Sie sich selbst ein Bild!“, schlug Dr. del Gardo vor, und damit führte sie Fr.
Inspektor März zum Zimmer der Kranken, öffnete die Türe und verschwand.
Vorsichtig
öffnete Inspektor März die Türe ganz. Ein Bett, ein Kasten, eine Couch, nichts
weiter. Das Zimmer war ebenso kahl und kalt wie das gesamte Gebäude. Auf der
Couch saß eine Frau, klein und zusammengesunken. Sie wirkte, als würde sie in
sich hineinwachsen. Ihr Haar war grau, doch die Augen wachsam. Ihr Gesicht wies
kaum Falten auf und stand im krassen Gegensatz zu ihrem Haar. Wie alt sie wohl
sein mochte? Es war schwer zu sagen, ja beinahe unmöglich. Jemand, der nicht so
genau hinsah wie Inspektor März hätte meinen können es handle sich um eine
Puppe, so reglos saß sie da. Regelmäßig senkte sich ihr Brustkorb, inmitten der
sonstigen Starre. Vorsichtig trat Inspektor März näher. Sie musste sich
überwinden etwas zu sagen, denn es war ihr, als würde sie eine Andacht stören.
Es war dieses beklemmende Gefühl, das sie auch immer verspürte, wenn sie ein
Gotteshaus betrat, ganz gleich welches, doch in diesem hier wurde das zweite
Gebot penibelst eingehalten. Nirgendwo war ein Bild zu finden.
„Frau Merkado?“,
fragte Inspektor März, als sie sich endlich überwunden hatte, doch so verhalten
wie möglich.
„Er schläft“,
entgegnete die Frau auf der Couch ernst, „Er schläft wie er noch nie geschlafen
hat. Deshalb müssen alle leise sein. Sonst kann er nicht schlafen. Immerzu
kommen diese Gören. Gerade wenn er einschläft. Sie passen den richtigen Moment
ab und dann platzen sie ins Zimmer. Sie sind bösartig. Beide. Alle wollen mir
einreden, dass Kinder sich nichts denken dabei. Aber ich weiß es besser. Sie
wollen ihn zum Wahnsinn treiben, denn so lange er nicht schlagen kann verfolgen
ihn die Bilder. Dann muss er etwas nehmen um sich zu schützen, vor diesen
grässlichen Bildern. Er kann es einfach nicht vergessen. Manchmal ist er so
erschöpft, dann schläft er ein und dann kommen die Gören und wecken ihn.“
„Wer schläft?“,
fragte Inspektor März verwirrt.
„Mein Mann. Wer
sonst?“, meinte Frau Merkado, immer noch die Augen starr auf einen Punkt
geheftet. Es bewegte sich nichts an ihr, außer ihrer Brust und die Lippen.
„Aber der ist
seit zehn Jahren tot“, merkte Inspektor März an.
„Schlaf oder Tod?
Ihr jungen Leute könnt das nicht unterscheiden. Ihr seht nie genau hin. Ihr seid
immer so schnell fertig mit eurem Urteil. Alle haben es gesagt, aber ich lasse
mich nicht beirren. Ich weiß, er schläft“, sagte Frau Merkado kopfschüttelnd.
„Ihre Tochter ist
gestorben. Sie wurde ermordet“, fuhr Inspektor März fort.
„Gott sei Dank,
dann kann sie ihn endlich nicht mehr stören“, erwiderte Frau Merkado ruhig.
Die Brust hob und
senkte sich. Sonst bewegte sich nichts. Inspektor März schloss die Türe.
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