Wenn ich es gewusst hätte ...
„Nun, ich muss
gestehen, Sie sind unsere Hauptverdächtige“, gab Chefinspektor Krämer
unumwunden zu, während er wieder mal in einer Kaffeetasse rührte, einen kleinen
braunen Hund an seiner Seite.
„Und wie sieht
mein Motiv aus, Herr Chefinspektor“, sagte ich gedehnt, während ich mich noch
tiefer in die Couch grub. Es langweilte mich. Meine Schwester war tot. Es
änderte nur, dass ich nicht mehr für sie mitdenken musste. An meinem Leben, an
seinen Abläufen, an den Erfordernissen, änderte es nichts. Natürlich war es ein
großer Verlust für mich. Ich liebte meine Schwester, so wie man das eben zu tun
pflegt unter Schwestern, zumal dann, wenn der Altersunterschied so groß ist.
Man kommt sich nicht so leicht ins Gehege. Die kleine sieht die große Schwester
als Vorbild, und die große kann die kleine bemuttern. Das bedeutet allerdings
nicht viele Berührungspunkte. Sie leben für sich und plaudern ein wenig. Es ist
so leicht zu lieben, wenn man sich gegenseitig nichts anhaben kann.
„Sie sind also
vor zehn Jahren nach Irland ausgewandert?“, fragte der Chefinspektor noch einmal.
„Sind wir in der
Schule?“, fragte ich leichthin.
„Warum?“, fragte
er aufschauend, aber weiterrührend.
„Weil man
normalerweise nur in der Schule Fragen gestellt bekommt, bei denen der Fragende
die Antwort schon weiß“, erklärte ich ohne großes Interesse.
„Wissen Sie was,
Sie erzählen mir einfach Ihre Geschichte und ich frage nicht mehr“, schlug der
Chefinspektor vor.
„Es war kalt, es
regnete und ich wartete. Martin in und ich wollten miteinander weggehen und
irgendwo ein neues Leben beginnen. Hier wäre uns das nicht möglich gewesen.
Doch er kam nicht. Da dachte ich, er hat mich sitzenlassen. So rief ich Conor
an. Er hatte einen Verlag in Irland. Gothik, Mystik, lauter solches Zeugs. Aber
es verkaufte sich gut. Ich arbeitete schon längere Zeit für ihn. Ich machte
Gothik-Comics, Text und Illustration. In den ersten beiden Jahren hatte ich nur
schriftlichen Kontakt, aber nachdem alles gut funktionierte brauchten wir uns
nicht kennenzulernen. Bald schon war ich sein bestes Pferd im Stall, wie man so
salopp formuliert. Zwei Monate zuvor lernte ich ihn dann auf einer Messe in
Wien kennen. Er machte mir spontan einen Antrag, weil er meinte, wer gut
miteinander arbeiten kann, kann auch gut miteinander leben. Ich lächelte, denn
ich war ja gebunden. Er ließ sich nicht beirren und bot mir an, dass ich ihn
jederzeit anrufen könne, sollte ich es mir anders überlegt haben. Als mich nun
Martin hängenließ dachte ich daran und rief Conor an. Drei Stunden später war
ich auf dem Weg nach Irland und am nächsten Tag Mrs. Conor O’Fallon. Zehn Jahre
lebten und arbeiteten wir miteinander. Es war ein interessantes Leben. Mehr
hatte er mir nie versprochen. Vor ein paar Monaten zogen wir auf seinen Wunsch
hierher, doch er war bereits sehr krank und so starb er bald. Dann zog meine
Schwester zu mir. Den Rest kennen Sie“, erzählte ich schlicht, als hätte es mit
mir nichts zu tun.
„Wann haben Sie
erfahren, dass Martin Rosenzweig Sie nicht versetzt hatte?“, fragte der
Chefinspektor ungerührt, und stellte mit Befriedigung fest, dass sich
Bestürzung in meinen Zügen spiegelte, „Er hatte einen Autounfall, war
monatelang ans Bett gefesselt und litt unter partieller Amnesie. Danach hat er
Sie ganz verzweifelt gesucht.“
„Das darf nicht
wahr sein!“, entfuhr es mir, und meine Stimme klang unangenehm kreischend, doch
das war nichts im Vergleich zu dem welchen Lärm der Zusammenbruch in meinem
Inneren verursacht. Kurz stahl sich ein hämisches Grinsen durch die Fassade.
Oder hatte sich das Chefinspektor Krämer nur eingebildet?
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