2101 Anonym (Teil 12):


Eine neue Spur?


„Was denken Sie von der Mutter? Kann sie irgendetwas mit der Sache zu tun haben?“, fragte Chefinspektor Krämer seine Mitarbeiterin Magdalena März. Die smarte Frau mit den kurzen schwarzen Wuschelhaaren und den sanften Augen, die eigentlich so gar nicht zu ihrem Naturell passten, stand am Fenster des Büros und sah nachdenklich in den Regen hinaus.
„Seit zehn Jahren bewacht sie ihren Mann, von dem sie meint, dass er schläft. Als ich ihr vom Tod ihrer Tochter erzählte meinte sie nur, sie wäre froh, denn so könne die Tochter ihren Vater nicht mehr wecken“, erzählte Magdalena März was sie erfahren hatte.
„Also hat sie ein Motiv“, entgegnete Chefinspektor Max Krämer nüchtern.
„Man könnte es so nennen, aber sie ist seit zehn Jahren nicht aus der Anstalt hinausgekommen und sie hatte darüber hinaus keinen Kontakt zu ihren Töchtern“, erklärte Inspektor März, „Aber was das betrifft habe ich etwas Interessantes gefunden. Auf dem Nachtkästchen der Mutter lag ein Stapel Briefe. Bei näherer Betrachtung erkannte ich, dass diese Briefe zwar den Absender der Tochter Beatrix trugen, aber in Wien abgestempelt worden waren. Ich fragte die diensthabende Psychiaterin danach, Dr. Valentina del Gardo. Als erst tat sie so, als würde sie davon nichts wissen, aber letztendlich gab sie doch zu, dass sie die Briefe geschrieben hatte, damit die arme Frau nicht ganz den Kontakt zur Außenwelt verlieren sollte, und es war gar nicht so schwer, denn in einschlägigen Kreisen gab es immer viele Neuigkeiten rund um den Verlag und die Person Beatrix O’Fallon. Sie war so was wie ein Star in der Szene, allerdings hat sie selbst nichts mehr gemacht, seit mindestens drei Jahren. Angeblich hat sie eine Blockade und sich ansonsten nur mehr dem Verlag gewidmet. Vor drei Jahren hat Conor O’Fallon ihr den Verlag übergeben und sich völlig aus dem Geschäft zurückgezogen um sich ganz und gar seinem Hobby zu widmen, dem Whiskey.“
„Also ein Säufer?“, fragte Chefinspektor Krämer nach.
„Nein, Erzeuger“, widersprach Magdalena März.
„Aber seltsam ist das doch, das mit den Briefen meine ich. Eine äußerst unprofessionelle Vorgangsweise von der Fr. Doktor, finde ich“, fuhr Chefinspektor Krämer fort.
„Durchaus. Die ganze Beziehung scheint ein wenig seltsam. Ich habe mir erlaubt eine kleine Kamera im Zimmer von Anna Merkado zu installieren. Vielleicht erfahren wir so mehr“, teilte Inspektor März mit.
„Auch nicht ganz koscher, aber nun gut. Apropos Briefe. Ich habe auch was Interessantes entdeckt. Marlies Merkado erhielt kurz vor ihrem Tode auch anonyme Briefe. Zwei Stück. Eine sehr markante Handschrift. Der erste war eine Art Liebeserklärung in Reimform und der zweite eine ganz offensichtliche Drohung. Vielleicht ist das unser Täter“, mutmaßte Chefinspektor Krämer.
„Sie meinen, verschmähte Liebe. Kein schlechtes Motiv. Wissen wir wer sie geschrieben hat? Fanden sich Fingerabdrücke?“, fragte Inspektor März.
„Natürlich nicht, ich meine, außer die der Empfängerin“, erklärte Chefinspektor März, und dachte, dass es doch manchmal nett wäre, wenn es einem der Täter so einfach machen würde.
„Jetzt haben wir also drei mögliche Täter“, sagte Magdalena März seufzend, „Einen davon haben wir sicher in Gewahrsam. Die zweite sitzt auf ihrer Couch und bewegt sich nicht vom Fleck, als hätte sie nichts zu verbergen. Und den oder die dritte kennen wir nicht. Ein äußerst interessanter Fall.“
Und während die beiden Polizisten die Briefe eingehend studierten ob sie nicht doch noch etwas fanden, irgendetwas, was sie übersehen haben könnten, bekam Anna Merkado Besuch. Eine weißgekleidete Frau öffnete so leise wie möglich die Türe, trat ein und schloss die Türe ebenso geräuschlos. Schweigen hing im Raum wie Spinnfäden.

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