Seltsamer Besuch
Chefinspektor
Krämer war gegangen. Ich wartete noch ein paar Minuten für den Fall, dass er es
wie Columbo hielt und wieder umkehrte, aus irgendeinem fadenscheinigen Grund,
doch er kam nicht wieder, zumindest an diesem Tag. Ich packte hastig ein paar
Sachen zusammen und begab mich ins Nachbarhaus. Meine Lieblingsfeindin war
mittlerweile aus ihrem langen Schlaf erwacht. Misstrauisch sah sie mich an.
Mehr konnte sie nicht tun, denn ich hatte sie geknebelt und gefesselt. Ich
hatte Groll in ihrem erwartet, aber da war nur Misstrauen und letztendlich
Gleichgültigkeit. Das ärgerte mich. Sie sollte sich vor mir fürchten. Eine
abgrundtiefe Angst sollte sich ihrer bei meinem Anblick bemächtigen. Doch das
würde noch geschehen, denn noch wusste sie nichts. Was war das? Sah ich da ein
Lächeln in ihren Augen. Ja, wahrhaftig, sie lächelte. Das war der Gipfel der
Unverfrorenheit! Ich hatte ihr Leben in der Hand. Ein kleiner Griff und sie
könnte tot sein, und doch, sie lächelte. Aber da sah ich den Grund: Babu hatte
mich begleitet.
„Nun, ich hoffe,
Sie wissen meine Gastfreundschaft zu schätzen, Beatrix“, sagte ich süffisant.
Ich sah, dass sie versuchte etwas zu entgegnen, doch sie hatte ja den Knebel im
Mund.
„Ach, wie dumm
von mir“, meinte ich kopfschüttelnd und nahm ihr den Knebel aus dem Mund, „Aber
passen Sie auf, wenn Sie versuchen zu schreien ist der Knebel sofort wieder
drinnen. obwohl, wer sollte Sie hier schon hören.“
„Was soll das
alles?“, fragte Beatrix, während sie noch nach Luft japste, während Babu ihr
Gesicht ableckte, was das Luftholen nicht unbedingt leichter machte.
„Sie haben mir
alles weggenommen, und jetzt werde ich Ihnen alles wegnehmen, inclusive der
Rolle als Ich-Erzählerin der Geschichte. Ich habe Ihren Platz eingenommen“,
erklärte ich leise, würdevoll, mit all der Dekadenz, die ich mir bei meinem
Opfer über die Jahre abschauen konnte, „Sie sind eine verwöhnte Frau und haben
alles bekommen was sie wollten, und dann muss ich erfahren, es war nicht einmal
Ihre erste Wahl, erst die Rolle als Star beim Verlag, dann Conor und zum
Schluss auch noch den Verlag selbst. Sie hatten ein Leben und ich hatte keines.
Immer wenn ich dachte, jetzt habe ich es bald geschafft, platzten Sie herein
und alles war kaputt.“
„Aber wir kennen
uns doch gar nicht“, meinte sie ernsthaft.
„Doch, ich habe
mich nur ein wenig verändert, angepasst, dass ich Ihre Rolle einnehmen kann.
Mein Name, mein wirklicher Name ist Aoife Vaughan“, sagte ich gedehnt, und
genoss den Schrecken, der sich nun doch endlich in ihren Augen breitmachte.
„Aber das gibt es
doch gar nicht. Sie sahen damals so anders aus, so so so, irisch“, sagte sie
fassungslos.
„Oh ja, das tat
ich, aber nachdem sie mich nicht wirklich beachteten, war es nicht schwer mich
einzuschleichen. Ich arbeitete schon länger für den Verlag und stand kurz davor
den Durchbruch zu schaffen, als Sie kamen und mir den Triumph, der schon zum
Greifen nahe war, vor der Nase wegschnappten. Conor war ich inzwischen als
seine rechte Hand auch unentbehrlich geworden und es war auch nur eine Frage
der Zeit, dass er mich heiraten würde, aber auch der Platz wurde neu vergeben.
Von da an stand ich in allem in der zweiten Reihe, und dann haben Sie ihm noch
den Verlag abgeschwatzt, so dass er endgültig im Whiskey ertrinken konnte. Dann
bin ich auch noch für Sie eingesprungen. Wer meinen Sie hat unter Ihrem Namen
gearbeitet, als Sie Ihre Blockade hatten? Eine namenlose Ghostwriterin. Seit
drei Jahren habe ich Ihren Platz. Und jetzt nehme ich mir noch den Rest!“,
erklärte ich, und schmeckte wie süß der Sieg war.
„Meine Schwester
wird es merken“, erwiderte sie schwach.
„Ihre Schwester
wird nichts mehr merken, denn sie ist tot!“, konnte ich nun endlich verkünden.
Ein langer tiefer
Schrei entrang sich ihren Lippen.
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