2502 Anonym (Teil 13):


Seltsamer Besuch


Chefinspektor Krämer war gegangen. Ich wartete noch ein paar Minuten für den Fall, dass er es wie Columbo hielt und wieder umkehrte, aus irgendeinem fadenscheinigen Grund, doch er kam nicht wieder, zumindest an diesem Tag. Ich packte hastig ein paar Sachen zusammen und begab mich ins Nachbarhaus. Meine Lieblingsfeindin war mittlerweile aus ihrem langen Schlaf erwacht. Misstrauisch sah sie mich an. Mehr konnte sie nicht tun, denn ich hatte sie geknebelt und gefesselt. Ich hatte Groll in ihrem erwartet, aber da war nur Misstrauen und letztendlich Gleichgültigkeit. Das ärgerte mich. Sie sollte sich vor mir fürchten. Eine abgrundtiefe Angst sollte sich ihrer bei meinem Anblick bemächtigen. Doch das würde noch geschehen, denn noch wusste sie nichts. Was war das? Sah ich da ein Lächeln in ihren Augen. Ja, wahrhaftig, sie lächelte. Das war der Gipfel der Unverfrorenheit! Ich hatte ihr Leben in der Hand. Ein kleiner Griff und sie könnte tot sein, und doch, sie lächelte. Aber da sah ich den Grund: Babu hatte mich begleitet.
„Nun, ich hoffe, Sie wissen meine Gastfreundschaft zu schätzen, Beatrix“, sagte ich süffisant. Ich sah, dass sie versuchte etwas zu entgegnen, doch sie hatte ja den Knebel im Mund.
„Ach, wie dumm von mir“, meinte ich kopfschüttelnd und nahm ihr den Knebel aus dem Mund, „Aber passen Sie auf, wenn Sie versuchen zu schreien ist der Knebel sofort wieder drinnen. obwohl, wer sollte Sie hier schon hören.“
„Was soll das alles?“, fragte Beatrix, während sie noch nach Luft japste, während Babu ihr Gesicht ableckte, was das Luftholen nicht unbedingt leichter machte.
„Sie haben mir alles weggenommen, und jetzt werde ich Ihnen alles wegnehmen, inclusive der Rolle als Ich-Erzählerin der Geschichte. Ich habe Ihren Platz eingenommen“, erklärte ich leise, würdevoll, mit all der Dekadenz, die ich mir bei meinem Opfer über die Jahre abschauen konnte, „Sie sind eine verwöhnte Frau und haben alles bekommen was sie wollten, und dann muss ich erfahren, es war nicht einmal Ihre erste Wahl, erst die Rolle als Star beim Verlag, dann Conor und zum Schluss auch noch den Verlag selbst. Sie hatten ein Leben und ich hatte keines. Immer wenn ich dachte, jetzt habe ich es bald geschafft, platzten Sie herein und alles war kaputt.“
„Aber wir kennen uns doch gar nicht“, meinte sie ernsthaft.
„Doch, ich habe mich nur ein wenig verändert, angepasst, dass ich Ihre Rolle einnehmen kann. Mein Name, mein wirklicher Name ist Aoife Vaughan“, sagte ich gedehnt, und genoss den Schrecken, der sich nun doch endlich in ihren Augen breitmachte.
„Aber das gibt es doch gar nicht. Sie sahen damals so anders aus, so so so, irisch“, sagte sie fassungslos.
„Oh ja, das tat ich, aber nachdem sie mich nicht wirklich beachteten, war es nicht schwer mich einzuschleichen. Ich arbeitete schon länger für den Verlag und stand kurz davor den Durchbruch zu schaffen, als Sie kamen und mir den Triumph, der schon zum Greifen nahe war, vor der Nase wegschnappten. Conor war ich inzwischen als seine rechte Hand auch unentbehrlich geworden und es war auch nur eine Frage der Zeit, dass er mich heiraten würde, aber auch der Platz wurde neu vergeben. Von da an stand ich in allem in der zweiten Reihe, und dann haben Sie ihm noch den Verlag abgeschwatzt, so dass er endgültig im Whiskey ertrinken konnte. Dann bin ich auch noch für Sie eingesprungen. Wer meinen Sie hat unter Ihrem Namen gearbeitet, als Sie Ihre Blockade hatten? Eine namenlose Ghostwriterin. Seit drei Jahren habe ich Ihren Platz. Und jetzt nehme ich mir noch den Rest!“, erklärte ich, und schmeckte wie süß der Sieg war.
„Meine Schwester wird es merken“, erwiderte sie schwach.
„Ihre Schwester wird nichts mehr merken, denn sie ist tot!“, konnte ich nun endlich verkünden.
Ein langer tiefer Schrei entrang sich ihren Lippen.

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