Kaufwahn
Franz F. jun. und
seine Mutter lebten ruhig und zufrieden. Eines Tages, da war der Sohn bereits
zur Arbeit gegangen, hörte die Mutter, Anna F., ein Rumpeln auf dem Gang.
Vorsichtshalber schnappte sie sich den Mülleimer, damit niemand meinen könnte,
sie wäre neugierig. Die Tür der Nachbarwohnung, die von einer jungen Mutter mit
zwei Kindern bewohnt wurde, stand weit offen. Anna F. konnte erkennen, dass sie
schon fast leergeräumt war. Die Kinder saßen auf den Stufen und warteten.
„Zieht ihr um?“,
fragte Anna F. lächelnd.
„Wir müssen auf
die Straße“, sagte der Bub, Leon.
„Aber nein. Ihr
zieht sicher irgendwo hin“, erwiderte Anna F.
„Uns will ja
keiner haben“, meinte nun Lena, seine kleine Schwester.
„Aber das glaube
ich nicht. Wahrscheinlich geht ihr zur Oma“, versuchte Anna F. Hoffnung zu
verbreiten.
„Nein, die will
uns nicht. Nur die Mama darf kommen, aber wir nicht“, meinte Leon.
„Weil unser Papa
ein schlechter Mensch war“, fügte Lena hinzu.
„Wollt ihr mal
reinkommen? Habt ihr Hunger?“, fragte Anna F., der es ganz offensichtlich
unangenehm war ein solches Gespräch auf dem Gang zu führen. Außerdem konnte sie
so etwas machen, bei dem sie sicher war, Essen. Einen großen Teller mit
belegten Broten stellte sie vor den Kindern hin. Mit großer Freude sah sie, wie
die Kinder die Brote verschlangen, als hätten sie seit Tagen nichts zu essen
bekommen.
„Ihr esst ja, als
stündet ihr knapp vor dem Verhungern“, sagte sie lachend und meinte einen
Scherz gemacht zu haben.
„Tun wir auch“,
entgegnete Lena lapidar, während sie nach dem letzten Brot griff und Anna F.
nervös noch welche zubereitete.
„Aber das ist
jetzt übertrieben“, meinte sie unsicher, „Eure Mama gibt Euch sicher was zu
essen.“
„Das geht nicht.
Sie kauft immer Schuhe. Und jetzt haben wir kein Geld fürs Essen“, erklärte
Leon sachlich.
„Und auch nicht
für die Miete“, ergänzte Lena.
„Immer wieder hat
sie es uns versprochen, aber sie schafft es nicht. Sie sagt sie kauft was zum
Essen und nach Hause kommt sie mit Schuhen. Die stellt sie dann zu den anderen
in den Keller“, sagte Leon leise.
„Und wir haben
immer solchen Hunger“, entfuhr es Lena unwillkürlich.
„Manchmal darf
ich bei einem Freund essen, aber das ist nicht oft“, sagte Leon.
Anna F. war wie
vom Donner gerührt. Aber es musste stimmen was die Kinder erzählten, denn das
Kellerabteil der Nachbarin lag gleich neben ihrem, und dieses war von oben bis
unten mit Schuhkartons angefüllt. Anna F. wäre niemals eingefallen sich
irgendwelche Gedanken darüber zu machen. „Kinder, die nichts zu essen bekommen,
nein, das kann man nicht dulden“, ging es ihr durch den Kopf, als sie beim
Jugendamt anrief. Angeblich kamen Leon und Lena gemeinsam zu einer sehr netten
Pflegefamilie.
„Ich hoffe nur,
dass sie dort was Anständiges zu Essen bekommen“, meinte Anna F., als sie an
diesem Abend mit ihrem Sohn beim Abendessen saß.
„Ich werde
ausziehen“, sagte Franz F. jun. kurz. Und wieder wusch sich Anna F. die Hände,
trocknete sie an ihrer Schürze und packte die Koffer für ihren Sohn. Franz F.
jun. heiratete und gründete eine Familie. Bald schon war alles so wie es sein
sollte. Ein sicherer Arbeitsplatz, eine schöne Wohnung, ein verheiratetes
Elternpaar und zwei Kinder. Und nun kochte Anna F. für ihre Enkelkinder.
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