Eindrücke
Die Welt wird,
weil sie mir wieder klar wird. Noch wird es ein wenig dauern. Noch ist das Bild
unscharf. Ich komme langsam zu mir, und die Welt um mich gibt sich auch nicht
so einfach preis. Sie passt sich an. Zumindest sie lässt mir Zeit. Dämmrig ist
es, dort wo ich bin. Durch die kleinen Schlitze, die sich vor meinen Augen
öffnen, erkenne ich zunächst nur dieses Dämmern. „Götterdämmerung“, schießt es
mir durch meinen gepeinigten Kopf, „Morgendämmerung“ ist das nächste. Man gibt
es bescheiden, wenn es im Kopf hämmert, als hätte einer, der den
Presslufthammer bedient, ihn losgelassen und der fuhrwerkt jetzt ungezügelt
alleine weiter. Aber zu meiner Erleichterung stelle ich fest, dass auch
sämtliche andere Extremitäten schmerzen. Erleichterung, weil ich in meiner
Schmerzwahrnehmung nicht so eingeschränkt bin. Kopfschmerzen für sich genommen
schränken den Aktionsradius beträchtlich ein, auch wenn der Rest des Körpers
völlig schmerzfrei ist, aber wenn alles schmerzt, so drängt es nicht so sehr
nach Betätigung. Bedächtig drehe ich ganz leicht den Kopf, gebe der Richtung,
die der Presslufthammer gerade nimmt, nach. Eine Frau, ganz in Schwarz sitzt
ein wenig rechts von mir auf einen Lehnstuhl und hat ein Buch vor der Nase.
Wahrscheinlich liest sie, aber wer kann das schon so genau sagen. Ich erinnere
mich, dass ich mir oft ein Buch vor die Nase hielt, damit jeder um mich wusste,
dass ich jetzt nicht angesprochen werden wollte. Es war mein Bollwerk gegen die
sich aufdrängenden Gedanken und Gefühle anderer. Manchmal ist es notwendig sich
ein wenig abzuschotten, doch auch wenn sie nichts sagten, so war es doch ihre
bloße Anwesenheit, die mich in ihr Wirrwarr hineinzog, unausweichlich. Mehr
noch, auch ihre Abwesenheit war beklemmend, denn in meinem Kopf waren sie
niemals abwesend. Ich habe eine Gabe, die mich zwingt. Ich nehme wahr, die
Menschen um mich, ganz gleich ob sie mich jetzt persönlich meinen oder nicht.
Ich saß beispielsweise in einem Café und ließ den Blick wie zufällig über die
Menschen gleiten. Ein einziger Bick, ein einziger vorüberhuschender Blick
genügte um mir über alles völlig im Klaren zu sein, Alter, Lebensumstände und
innere Regungen. Ich konnte es einfach nicht abstellen. So oft ich konnte
versuchte ich dem zu entfliehen, indem ich mich in einen dunklen, fensterlosen
Raum zurückzog. Eigentlich war es das Abstellkammerl, aber für mich, war es ein
Rückzug. Nicht, dass ich den Menschen in meinem Kopf wirklich entkommen konnte,
aber dort drinnen gesellten sich zumindest keine neuen Eindrücke zu den
bestehenden hinzu. Es war eine gewisse Erleichterung. So weiß ich auch sofort,
dass diese Frau, die neben mir sitzt, nicht liest. Sie hält sich das Buch vor
die Nase, während sie darauf wartet, dass ich ein Lebenszeichen von mir gebe.
Ich beschließe sie noch ein wenig warten zu lassen, denn ich muss mir erst über
ein paar Dinge klar werden, muss mich besinnen wie ich wohl hierherkam. Was war
geschehen bevor ich auf dieser Couch landete und der Presslufthammer angeworfen
wurde? Ich wollte mich auf Antworten besinnen, die zu Fragen passen könnten,
die mir noch nicht einmal gestellt worden waren, aber zweifelsohne gestellt
wurden. Die Frau lie0 ihr Buch in den Schoß gleiten. Wem wollte sie auch etwas
vormachen? Sie gehörte wohl zu den Menschen, die es nicht fertigbrachten
einfach so in einem Stuhl zu sitzen und nichts zu tun, einfach nichts. Wie
schwer war es doch, dieses Nichtstun. Aber sie wandte mir den Blick zu. Ich
stellte sicher, dass die Lider ganz geschlossen waren. Noch wollte ich nicht
offiziell munter sein. Noch wollte ich mir selbst Zeit lassen zu mir zu kommen
und mich vor dem Ansturm, der mich zweifelsohne erwartete, zu schützen. Vielleicht
hatte sie es gut gemeint, als sie mich aufnahm. Vielleicht sah sie es als ihre
Pflicht, als sie mich irgendwo fand, in was weiß ich für einen Zustand, doch
sobald der Delinquent erwacht, wird er erbarmungslos ausgequetscht wie eine
Zitrone. Und es fällt nicht einmal weiters auf.
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