Neue Erkenntnisse
„Und wie geht es
unserem Patienten?“, höre ich eine durchdringende Stimme, die nicht zu der
Leserin im Stuhl gehört, denn sie kommt von weiter weg. Energische Schritte
gehen damit einher. Offenbar ein Haushalt der offenen Türen, liegt nahe zu
denken, denn ich hatte kein charakteristisches Geräusch gehört, das das Öffnen
einer Türe angezeigt hätte.
„Er schläft
noch“, entgegnet eine sanfte Stimme, die nun zu der Leserin neben mir gehört
und es ist, als würde ein feines Lächeln mitschwingen, „Oder zumindest möchte
er wohl noch ein wenig Ruhe haben.“
„Aber ich bin so
neugierig. Außerdem möchte ich wissen wie es ihm geht“, entgegnet die
durchdringende Stimme, doch nun vernehmlich gedämpfter. Neugierig ist sie also,
denke ich, aber ich bin noch nicht so weit. Ich versuche die Zeit, den Ablauf,
an den ich mich noch erinnern kann, zu rekonstruieren.
Ich war spät
dran, wie immer, hechtend von einem Termin zum anderen. Meine Profession nennt
sich wohl Fraud-Analyst, was nichts anderes bedeutet, als dass ich dort
hinberufen werde, wo der Hut brennt, weil Daten missbräuchlich verwendet
werden. Nachdem ich in der Branche einen sehr guten Ruf genieße, vor allem was
meine Verschwiegenheit betrifft, so werde ich mittlerweile zu äußerst
diffizilen Fällen gerufen. Mag sein, dass der eine oder andere Kollege der
Versuchung nicht widerstehen kann und selbst ein wenig außerhalb der Legalität
mitprofitieren möchte, doch die Bezahlung war so gut, dass ich keinen Anlass
sah meinen Ruf und meine Zukunft zu gefährden. Am Vortag war ich in Prag
gewesen, in der Nacht noch nach Wien geflogen und nachdem ich meinen Auftrag
erfüllt hatte, wieder auf dem Weg zum Flughafen. Mein Ziel hieß London. Ich
bezahlte das Taxi und hechtete in die Abflughalle. Mit geschultem Blick
überflog ich die Tafel um zu eruieren welches Gate ich zu nehmen hatte. A13 war
es. Mein Blick glitt von der Tafel weg, überflog nebenbei die Menschen, die
sich in der Halle aufhielten, als er plötzlich erstarrte, der Blick und ich mit
ihm. Aber was war es nur, was mich dazu veranlasste? Oder war es ein jemand
gewesen? War es vielleicht so schlimm gewesen, dass sich mein Gedächtnis
weigerte das Geheimnis preiszugeben? Ich weiß nur, dass ich, trotz der
Notwendigkeit umgehend das Gate aufzusuchen, die Halle fluchtartig verließ und
kopflos wegrannte. Es war mir offenbar völlig gleichgültig wohin ich rannte,
ich wollte nur weg. Ich nahm nicht wahr, was neben mir geschah noch wie meine
Umgebung aussah. Ich ging und ging und ging. An dieser Stelle reißt meine
Erinnerung ab. Wie ich hierher gekommen bin? Ich hatte keine Ahnung.
„Übrigens, es gab
einen Flugzeugabsturz“, erzählt die Frau mit der durchdringenden Stimme, die
sie immer noch zu dämpfen sucht, wohl aus Rücksicht auf mich, was ihr
allerdings hörbar schwer fällt.
„Und inwiefern
ist das von Relevanz?“, fragt nun die Leserin, hörbar desinteressiert.
„Ich denke, das
jener Herr, der hier auf unserer Couch liegt, in diesem Flugzeug hätte sitzen
sollen“, erklärt die Angesprochene, „Es war der Flug 11.30 Uhr nach London. Hat
also quasi nochmals Glück gehabt, denn die Maschine explodierte und alle
Passagiere inclusive der Crew kamen um.“
„Woher weißt Du
das? Du hast doch nicht seine Sachen durchsucht?“, vernehme ich die Stimme der
Leserin scharf, denn offenbar missbilligt sie solche Einschnitte in die
Privatsphäre.
„Was Du schon
wieder von mir denkst!“, gibt sie zurück, „Nein, aber ich sein Handy fiel aus
der Tasche und da erschien der Termin am Display.“
„Ich bin also
quasi offiziell in der Maschine gesessen“, denke ich, und versuche diese neue
Erkenntnis in meine Überlegungen miteinzubauen.
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