Erwachen
Nun steht sie
unschlüssig in der Tür. Zumindest höre ich nichts, was darauf hinweisen würde,
dass sie sich bewegt. Ich würde so gerne einen Blick auf sie werfen, aber ich
weiß nicht ob ich es riskieren kann ohne dass entdeckt werden würde, dass ich
nicht mehr schlafe. Zumindest scheint sie die neugierigere von den beiden zu
sein. So viele Fragen brennen in ihr, die nicht unbedingt nur mit meinem
Wohlergehen zusammenhängen, aber darunter werden etliche sein, die ich gar
nicht beantworten kann. Was war es nur, was mich so aufbrachte am Flughafen, so
sehr, dass ich Hals über Kopf davonrannte?
„Jetzt schläft er
schon seit zehn Stunden“, versuchte die Frau mit der durchdringenden Stimme den
Gesprächsfaden wieder aufzunehmen.
„Kann sein“,
antwortet die, die neben mir liest oder besser las, denn ich höre, wie sie das
Buch mit einem Seufzer auf den Tisch legt, denn sie scheint nun auch begriffen
zu haben, dass sie sich dem Gespräch widmen muss.
„Sollten wir
vielleicht einen Arzt rufen?“, fragt die erste weiter.
„Und was wollen
wir ihm sagen? Wir haben hier einen Mann liegen, der eigentlich tot sein sollte,
aber aus irgendeinem Grund vom Flughafen wegging bevor er in die Maschine
einstieg. Wir wissen nicht wer er ist und er ist auch nicht wirklich verletzt,
zumindest ist nichts erkennbar“, ist die lapidare Entgegnung.
„Aber der Sturz,
meinst Du nicht, dass er sich was getan hat?“, bleibt erstere unbeirrbar.
„Nein. Es hat
zwar recht spektakulär ausgesehen, so wie er von der kleinen Steinbrücke in den
Bach gefallen war, aber es ist trotzdem nicht weiter schlimm gewesen. Ihm
werden sämtliche Knochen wehtun und der Kopf wird brummen, denn er hat ihn sich
wohl gestoßen, da er ohnmächtig war als wir ihn fanden, aber das ist nicht
weiters beunruhigend. Er soll sich einfach ausschlafen dürfen“, erklärt die
Frau neben mir ruhig, aber bestimmt, „Und selbst wenn er nicht mehr schlafen
sollte, so wollen wir ihm doch die Zeit gönnen, die er braucht zu sich zu
kommen. Oder wäre es Dir angenehm, wenn Du irgendwo aufwachst, völlig fremd
bist und sofort mit Fragen bombardiert wirst. Weißt Du was? Nachdem Du mir
jetzt sowieso keine Ruhe mehr lässt, könnten wir uns doch auch einen Tee
machen. Findest Du nicht?“
„Ich möchte
eigentlich nicht ...“, versuchte die Angesprochene zu widersprechen, doch der
Einspruch wird nicht zur Kenntnis genommen. Die beiden Frauen verlassen das
Zimmer. Ich bin allein.
Vorsichtig öffne
ich die Augen um mich zu versichern, dass ich mich nicht getäuscht habe. Erst
dann richte ich mich langsam auf. Der Sturz über die kleine Mauer in den Bach,
daran erinnere ich mich nun wieder. Im vollen Lauf hatte ich dieses kleine
Mäuerchen, kaum zwei Fuß hoch, völlig übersehen. Erst als ich durch die Luft
segelte wusste ich, dass es da war. Ich landete in einem kleinen Bach, der zum
Glück sehr schlammig war. Das dämpfte meinen Aufprall. Bis auf diese Schmerzen
bin ich jedoch heil, auch wenn mir jeder einzelne Knochen wehtut. Meine
Bewegungen sind langsam und vorsichtig, denn jede einzelne treibt mir ein
Messer in den Kopf. Dort müssen sie mich gefunden und hierhergebracht haben.
Ein gemütliches
Wohnzimmer, in dem ich mich befinde. Die breite Couch, der mondäne
Schreibtisch, ein kleines Bücherregal und im Kamin brennt ein wärmendes Feuer.
Offenbar ist es mitten in der Nacht, denn vor dem Fenster ist es stockdunkel.
Nur das Notwendigste steht in dem Raum, und diese Möbel sind schlicht und
funktionell. Kein unnötiger Schnick-Schnack, so wie die Besitzerin wohl auch
keine unnötigen Worte macht. Notwendigkeit und Funktionalität, Reduktion und
Simplifizierung spricht mich aus diesem Raum an. Ich fühle mich sofort wohl.
Wenn sie wiederkommen, werde ich sie um eine Schmerztablette bitten. Nun fühle
ich mich bereit mich ihren Fragen zu stellen. Deshalb bleibe ich aufrecht
sitzen und warte, den Blick im Feuer verloren. „Alles wird gut“, denke ich und
weiß nicht warum.
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