2103 Vergessen (Teil 3):


Erwachen


Nun steht sie unschlüssig in der Tür. Zumindest höre ich nichts, was darauf hinweisen würde, dass sie sich bewegt. Ich würde so gerne einen Blick auf sie werfen, aber ich weiß nicht ob ich es riskieren kann ohne dass entdeckt werden würde, dass ich nicht mehr schlafe. Zumindest scheint sie die neugierigere von den beiden zu sein. So viele Fragen brennen in ihr, die nicht unbedingt nur mit meinem Wohlergehen zusammenhängen, aber darunter werden etliche sein, die ich gar nicht beantworten kann. Was war es nur, was mich so aufbrachte am Flughafen, so sehr, dass ich Hals über Kopf davonrannte?
„Jetzt schläft er schon seit zehn Stunden“, versuchte die Frau mit der durchdringenden Stimme den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen.
„Kann sein“, antwortet die, die neben mir liest oder besser las, denn ich höre, wie sie das Buch mit einem Seufzer auf den Tisch legt, denn sie scheint nun auch begriffen zu haben, dass sie sich dem Gespräch widmen muss.
„Sollten wir vielleicht einen Arzt rufen?“, fragt die erste weiter.
„Und was wollen wir ihm sagen? Wir haben hier einen Mann liegen, der eigentlich tot sein sollte, aber aus irgendeinem Grund vom Flughafen wegging bevor er in die Maschine einstieg. Wir wissen nicht wer er ist und er ist auch nicht wirklich verletzt, zumindest ist nichts erkennbar“, ist die lapidare Entgegnung.
„Aber der Sturz, meinst Du nicht, dass er sich was getan hat?“, bleibt erstere unbeirrbar.
„Nein. Es hat zwar recht spektakulär ausgesehen, so wie er von der kleinen Steinbrücke in den Bach gefallen war, aber es ist trotzdem nicht weiter schlimm gewesen. Ihm werden sämtliche Knochen wehtun und der Kopf wird brummen, denn er hat ihn sich wohl gestoßen, da er ohnmächtig war als wir ihn fanden, aber das ist nicht weiters beunruhigend. Er soll sich einfach ausschlafen dürfen“, erklärt die Frau neben mir ruhig, aber bestimmt, „Und selbst wenn er nicht mehr schlafen sollte, so wollen wir ihm doch die Zeit gönnen, die er braucht zu sich zu kommen. Oder wäre es Dir angenehm, wenn Du irgendwo aufwachst, völlig fremd bist und sofort mit Fragen bombardiert wirst. Weißt Du was? Nachdem Du mir jetzt sowieso keine Ruhe mehr lässt, könnten wir uns doch auch einen Tee machen. Findest Du nicht?“
„Ich möchte eigentlich nicht ...“, versuchte die Angesprochene zu widersprechen, doch der Einspruch wird nicht zur Kenntnis genommen. Die beiden Frauen verlassen das Zimmer. Ich bin allein.
Vorsichtig öffne ich die Augen um mich zu versichern, dass ich mich nicht getäuscht habe. Erst dann richte ich mich langsam auf. Der Sturz über die kleine Mauer in den Bach, daran erinnere ich mich nun wieder. Im vollen Lauf hatte ich dieses kleine Mäuerchen, kaum zwei Fuß hoch, völlig übersehen. Erst als ich durch die Luft segelte wusste ich, dass es da war. Ich landete in einem kleinen Bach, der zum Glück sehr schlammig war. Das dämpfte meinen Aufprall. Bis auf diese Schmerzen bin ich jedoch heil, auch wenn mir jeder einzelne Knochen wehtut. Meine Bewegungen sind langsam und vorsichtig, denn jede einzelne treibt mir ein Messer in den Kopf. Dort müssen sie mich gefunden und hierhergebracht haben.
Ein gemütliches Wohnzimmer, in dem ich mich befinde. Die breite Couch, der mondäne Schreibtisch, ein kleines Bücherregal und im Kamin brennt ein wärmendes Feuer. Offenbar ist es mitten in der Nacht, denn vor dem Fenster ist es stockdunkel. Nur das Notwendigste steht in dem Raum, und diese Möbel sind schlicht und funktionell. Kein unnötiger Schnick-Schnack, so wie die Besitzerin wohl auch keine unnötigen Worte macht. Notwendigkeit und Funktionalität, Reduktion und Simplifizierung spricht mich aus diesem Raum an. Ich fühle mich sofort wohl. Wenn sie wiederkommen, werde ich sie um eine Schmerztablette bitten. Nun fühle ich mich bereit mich ihren Fragen zu stellen. Deshalb bleibe ich aufrecht sitzen und warte, den Blick im Feuer verloren. „Alles wird gut“, denke ich und weiß nicht warum.

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