2503 Vergessen (Teil 4):


Eine Weile tot


Ich höre wie ein Tablett abgestellt wird, auf dem niedrigen Tisch, der neben der Couch steht. Langsam öffne ich die Augen.
„Möchtest Du auch eine Tasse Tee mit uns trinken?“, fragt die Frau, die neben mir gelesen hatte.
„Ich denke, ich mag Tee“, antworte ich und setze mich vorsichtig auf, um den Herrn mit dem Presslufthammer in meinem Kopf nicht weiters zu verärgern, der nun offenbar eine Pause eingelegt hat.
„Ich heiße übrigens Lana, und das ist Nona“, erklärt sie, während sie mir eine Tasse hinstellt, „Milch und Zucker?“
„Nur Milch“, antworte ich automatisch, „Mein Name ist Viktor. Wie bin ich hierhergekommen?“ Ein leises Lächeln huscht über mein Gesicht, denn  eigentlich hatte ich erwartet, dass ich mit Fragen bestürmt werden würde, doch nun war es umgkehrt.
„Wir fanden Dich bei einem Spaziergang“, antwortet Lana leichthin,
„Cora hat Dich gefunden, wenn Du es ganz genau wissen willst“, verbessert Nona.
„Wer ist Cora?“, frage ich erstaunt.
„Unsere Irish Wolf Hündin“, entgegnet Nona und weißt auf etwas, was ich bisher nicht wirklich wahrgenommen hatte, doch jetzt sehe ich es. Lang ausgestreckt liegt sie vor dem Kamin, groß wie ein Kälbchen, doch sie wirkt ruhig und friedlich.
„Also, wir sind spaziergegangen und haben uns wohl ein wenig verplaudert, da kamen wir zu dem kleinen Weiher und daneben ist eine kleine Steinbrücke. Dort musst Du gefallen sein. Zumindest machte es für uns den Eindruck““, erklärt nun Nona.
„Du hattest wirklich großes Glück, denn Du warst ohnmächtig geworden, lagst aber mit dem Gesicht nicht im Wasser. So sahen wir, dass Du zwar verletzt warst, aber nicht lebensgefährlich“, ergänzt Lana.
„Und deshalb haben wir beschlossen Dich mitzunehmen“, schließt Nona.
„Ihr habt mich bis hierher getragen?“, frage ich erstaunt.
„Ach wo. Wir gingen zurück, holten das Auto und damit Dich. Cora hat inzwischen auf Dich aufgepasst. Sie macht das wirklich sehr gut“, sagte Nona mit fester Überzeugung, und wie als wenn sie gewusst hätte, dass es um sie geht, hebt die Hündin den Kopf und blickt langsam und müde in unsere Richtung, doch nicht lange. Dann schließt sie die Augen wieder. Dieser Hund flößt mir doch eine gehörige Portion Respekt ein.
„Und gerade vorhin haben wir erfahren, dass Du eigentlich tot sein solltest. Jetzt haben wir uns gefragt, ob Du das wolltest? Ich meine nicht gerade tot, aber einfach mal auf und davon und untertauchen. Du wärst nicht in London aufgetaucht, doch jetzt stehen die Dinge anders, und deshalb ist unsere Frage, ob Du nicht für eine Weile offiziell tot sein willst“, versucht mir Nona zu erklären, und ich erfasse sofort was sie meint.
„Abstand gewinnen und ein wenig darüber nachdenken ob ich in mein altes Leben zurückkehren will oder nicht. Einfach mal nicht Ich sein“, versuche ich zusammenzufassen.
„Genau das meinen wir“, sagt Nona lächelnd, „Ich sagte Dir ja, Lana, das ist ein schlauer Bursche.“
„Soll ich mich jetzt geschmeichelt fühlen?“, frage ich augenzwinkernd. Es tut gut fröhlich zu sein. Und der Tee wärmt. Langsam lassen die Schmerzen nach. Ich fühle keinen Druck mehr auf mir. Leicht und unbelastet sitze ich einfach da und trinke Tee, der mich von innen wärmt. Vielleicht bleibe ich ein wenig. Vielleicht kehre ich gar nicht mehr zurück in mein Leben. Es gilt einiges zu überdenken.
„Ich denke, ich will für eine Weile tot sein“, sage ich, meine Überlegungen abschließend.

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