Ein neues Leben?
Ich genieße den
Tee. Earl Grey, denke ich, aber so sicher bin ich mir nicht. Dazu gibt es
englisches Teegebäck.
„Sind die etwa
selbstgemacht?“, frage ich, als ich bei den Scones zugreife und feststelle,
dass sie noch warm sind, wie frisch aus dem Ofen.
„Ja, klar“,
erklärt Nona, und will wohl schon ansetzen mir die Zubereitungsweise zu
erklären, als sie rüde unterbrochen wird.
„Ich denke, dass
das jetzt nicht von Relevanz ist“, meint Lana.
„Und was soll
dann von Relevanz sein?“, fragt Nona, und wirkt doch ein wenig eingeschnappt.
„Ich denke, dass
Viktor eine Entscheidung zu treffen hat“, meint Lana wie selbstverständlich.
Ich sehe sie verwundert an. Woher weiß sie das nun wieder?
„Denn man will
nicht einfach so eine Weile tot sein, wenn man nichts zu entscheiden hat. Oder
irre ich mich?“, wendet sie sich nun an mich.
„Ja, das mag wohl
so sein“, antworte ich ausweichend, „Aber ich weiß nicht ob ich das alleine
schaffe.“
„Dann lass uns
Dich unterstützen“, bietet Nona an.
„Eigentlich habe
ich mich euch ja schon völlig ausgeliefert“, spreche ich aus, was mir gerade
eben erst bewusst wurde, „Völlig ausgeliefert mit meinem Geheimnis, und ich
weiß nicht wieso, aber ich vertraue euch, obwohl ich euch nicht kenne, ja nicht
einmal weiß wo ich hier eigentlich bin.“
„Gut“, sagt nun
Lana, „Dann wollen wir Dich einweihen. Vielleicht fällt Dir dann das
Ausgeliefert-sein leichter. Du bist in einem Haus am östlichen Rand der Stadt,
gar nicht so weit weg vom Flughafen. Wenn Du durch den Park hinausgehst und
vielleicht zwei Kilometer der Straße folgst, dann kommst Du in den nächsten
Ort. Wir leben hier in der Abgeschiedenheit, weil wir gerne für uns sind und
die Aufmerksamkeit nicht so mögen, denn wir agieren quasi im Verborgenen.“
„Wir leben vom
Verbrechen“, wirft nun Nona ein, und macht eine Pause um das Gehörte bei mir
wirken zu lassen, und mein Blick muss verstört wirken, denn Lana beeilt sich
diese Aussage zu relativieren.
„Wir schreiben
Detektivromane, aber auch entsprechende Bühnenwerke“, erklärt Lana, „War das
jetzt notwendig Viktor so zu erschrecken?“
„Ja, das war es.
Ab und zu darf man sich doch einen
kleinen Scherz erlauben“, sagt Nona heiter und setzt ein kleines
verschmitztes Lächeln auf.
„Es war schon ein
wenig makaber“, muss ich zugeben, „Aber es ist wahrscheinlich nicht leicht Dir
böse zu sein. Allerdings habe ich so gesehen auch mit dem Verbrechen zu tun.
Oder besser, wenn es das Verbrechen nicht gäbe, dann wäre ich arbeitslos. Nur
dass es bei mir beinharte Realität ist. So gesehen ist es mir lieber euch
ausgeliefert zu sein als einem jener Leute, die mir wohl an den Kragen wollen.
Ausgeliefert – aber ich weiß nicht ob ich dahin zurück will, ob ich überhaupt
je zurück will. Andererseits weiß ich auch nicht ob es je möglich sein wird zu
entkommen. Ich habe im Laufe der Jahre so viel gesehen und erfahren, und ich
kenne einige Leute, denen mein Tod nur allzu gelegen käme. Doch kann ich dem
wirklich je entkommen. Selbst wenn ich jetzt offiziell tot bin und es sogar
schaffe meine Identität zu ändern, alles hinter mir zu lassen und ein völlig
neues Leben zu beginnen. Ist es denn wirklich möglich je meinem alten Leben
ganz zu entfliehen? Irgendwann, irgendwo, wenn ich gar nicht daran denke, weil
schon so viele Jahre verstrichen sein werden, werde ich jemandem begegnen, der
mich aus meinem alten Leben kennt und alles wieder zurückholt. Nein, man kann
sich selbst nicht entkommen. Aber vielleicht ein wenig ausruhen, Tee trinken
und Scones essen.“
„Willst Du uns
von Deinem Leben erzählen?“, fragt Lana ernst, und ich lese echtes, lebendiges
Interesse in ihrem Blick.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen