Du hast es versprochen
Er stand am Tor, reglos, in jener Nacht, als sie ging. Es
war noch nicht lange her, da hatte er alles verloren, alles, was ihm in dieser
Welt Bedeutung war, alles und jeden, auf einen Schlag, entwurzelt und verloren,
in der Unendlichkeit der Welt, die doch nicht weiter war als dieser eine
Straßenzug, den er kannte, doch als alles weg war, mit einem Schlag, das Haus,
und die Bewohner, und die Familie, und die, nein, Freunde hatte er keine, denn
er war seltsam, so wie seine ganze Familie. Da streift man besser nicht an,
waren sich die Nachbarn einig, und auch die anderen Menschen, vom Anfang bis
zum Ende der Straße. Sie hielten sich daran, waren konsequent in ihrer
Ablehnung. Es ist wohl das einzige worin die Menschen sich einig sind, in ihrer
Verbrüderung im Hass. Schweigen umgab ihn, so lange er denken konnte, Schweigen
und Ablehnung. Er hatte wohl eine Familie, wenigstens einen Ort, an dem er
bleiben konnte. Dort war der Hass nicht, zumindest nicht sofort, aber der Hass
der anderen drang zu ihnen vor, er war wie ein giftiges, unsichtbares Gas, das
durch jede noch so kleine Ritze durchdrang und ihr Leben vergiftete, und die
Gleichgültigkeit war zumindest genauso schlimm, die in ihrem Haus herrschte,
doch es war noch ein Haus und ein zu Hause und Menschen, doch dann war da mit
einem Schlag nichts mehr, vom Anfang der Straße bis zu ihrem Ende. Es war noch
nicht einmal eine besonders lange Straße, und doch war sie mit einem Schlag der
einsamste Platz der Welt, der verlorenste und der unendlichste, da nichts mehr
da war, also auch nichts, was den Anfang oder das Ende bezeichnet hätte, einfach
nur nichts. Da stand er und wusste nicht wohin, nicht woher, als sie kam.
Vorher schon waren Menschen von außerhalb durch die Unendlichkeit
hindurchgeeilt, und er fragte sich wie sie es schafften, einfach herein- und
wieder hinauszukommen, doch es war wohl, weil sie in dieser Straße kein zu
Hause hatten, auch wenn es von Gleichgültigkeit erfüllt war und vom Hass
vergiftet, immerhin noch ein zu Hause, ein Dach und vier Wände. Sie eilten
hindurch, die Menschen von außerhalb der Unendlichkeit, eilten hindurch, und er
blieb stehen, denn in der Unendlichkeit kann man nicht vorwärts noch zurück,
bleibt die Zeit stehen, weil auch sie nicht vorwärts und zurück kann. Dann kam
sie und eilte nicht weiter. Sie blieb stehen neben ihm, sah ihn an und erfasste
es, ohne ein Wort, die Gleichgültigkeit und den Hass, den er durchlitten hatte,
und jetzt die tiefe Verlassenheit. Sie blieb und ließ sich ein auf die
Geschichte, die aus seinen Augen sprach und die damit auch die ihre wurde. Kein
einziges Wort sagte er, weil er es nicht konnte. Er war verstummt angesichts
des Elends und der Unendlichkeit und des Leids. Sie war seine Rettung, seine
letzte, einzige Rettung. Mit einem Mal durchzuckte ihn ein Wollen, wie er es
noch nie gekannt hatte, wie das letzte Aufbäumen eines wilden Tieres, wenn es
sich aus der tödlichen Falle befreien will. Es war ein Urinstinkt, der ihn die
Rettung ergreifen ließ, die sie ihm war. Er nahm ihre Hand, entschlossen sie
nie mehr loszulassen, bis ans Ende der Tage. Alles hatte er verloren. Jetzt war
er entschlossen nichts mehr herzugeben, es sei denn, man nähme ihm vorher das
Leben. Ihr Blick sprach Verstörung, und doch wusste sie instinktiv, sie könnte
ihn nicht abschütteln, brachte es nicht fertig ihn zurückzustoßen in diese
Absolutheit. So akzeptierte sie es, dass er mit ihr ging, bis zum Rande der
Unendlichkeit. Sanft sah sie ihn an und meinte, dass es notwendig wäre, dass
sie ihn alleine ließe, für eine Zeit, aber sie versprach wiederzukommen, ganz
bestimmt würde sie wiederkommen. Und er versuchte dieses unbedingte Wollen in
ihren Augen zu finden, und weil er es so sehr wollte, fand er es auch. So ließ
er ihre Hand los, und sie verließ die Straße und die Unendlichkeit, aber sie
kam nicht wieder. Nie mehr kam sie wieder. Und doch, sie hatte es versprochen.
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