November Regen
Es war an einem jener Abende im November, an denen man
nichts mehr erwartet, weil man sich nichts erwarten lässt. Es ist die
Situation, da man sich selbst sagt: „Geh nach Hause, mach alles gut zu und
verbarrikadier die Tür, heiz Dir gut ein
und mach Dir einen Tee, vielleicht noch in der Badewanne entspannten, aber mehr
geht nicht. Du wirst nichts versäumen, dort draußen, denn es passiert nichts,
denn jeder, der halbwegs vernünftig denkt, bleibt heute zu Hause.“ Es ist wie
eine Abmachung mit Dir selbst, denn es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Natürlich konnte sich diese kleine Stimme in mir nicht verkneifen hämisch
anzumerken, dass ich dann draußen bleiben kann, wenn dort nur Unvernünftige
herumlaufen. Aber ich überhörte diese Spitze geflissentlich. Wie man sich
selbst gegenüber nur so gehässig sein kann. All das dachte ich im Kaffeehaus,
während ich aus dem Fenster sah und mich der Nebel und die Kälte hämisch
angrinsten. Im Geist malte ich mir aus, wie ich da jetzt hinaus gehen muss,
dann durch den Regen nach Hause laufen. Nicht weit, aber weit genug um mich
noch länger im Sitz zu halten. Ich fand mich unentschlossen, schwankend
zwischen Bequemlichkeit hier und diesen schönen warmen Aussichten zu Hause.
Wenn der Weg einmal getan wäre, aber so lange er es nicht war, war es einfach
nur abschreckend. Im Lied klingt das immer so romantisch, November Regen, aber
so in echt, sah es gar nicht danach aus. Doch die Zeit drängte. Die Kellner
kassierten schon ab. Bald würde ich gebeten werden das Kaffeehaus zu verlassen.
Das mochte ich so gar nicht, denn es sollte meine Entscheidung sein zu gehen
und nicht eine von außen aufgezwungene. So machte ich mich doch endlich
seufzend auf den Weg. Einmal noch durchatmen, dann die Türe aufstoßen und in
die Nacht hinaus, raschen Schrittes, den Kopf eingezogen um dem Wind und den Regen
so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten, um die nächste Ecke, bloß noch
ein kurzes Stück, als ich in etwas rannte, das meinen Schritt hemmte. Es konnte
keine Mauer sein, denn die wäre hier völlig fehl am Platz gewesen. Außerdem war
es weich. Ein kurzer heller Aufschrei, Dinge flogen durch die Luft und blieben
rundum in den Pfützen liegen. Dann sank die Gestalt in sich zusammen, den Kopf
in die Hand gestützt, und achtete den Regen nicht und nicht den Wind. Aber auch
ich achtete nicht mehr darauf, denn ich fühlte mich schuldig, und die Schuld
nimmt das Denken ein, die echte, wie die eingebildete. „Es tut mir leid“, hörte
ich mich vorsichtig stammeln. „Ach ja? Leid tut es Dir?“, braustest Du
plötzlich auf, Deinen schmalen, drahtigen Körper in voller Größe präsentierend, und Dein Gesicht war gezeichnet von Wut, „Alles ist kaputt, und
das, weil Du nicht schauen kannst. So kann ich die Bücher nicht mehr abgeben.
Und die gehören noch nicht einmal mir.“ Und ich sah das Blitzen in Deinen
Augen, das, das mich so fasziniert und motiviert, jedes Mal, wenn Du mich so
ansahst seit her. „Komm, lass sie uns aufsammeln. Ich wohne gleich dort vorne.
Und dann schauen wir uns das Malheur im Warmen und im Trockenen an“, sagte ich,
weil ich überzeugt war irgendetwas tun zu müssen, und so lud ich, entgegen
jeder Gewohnheit, eine völlig Fremde in meine Wohnung ein, und nachdem Du mich
noch einmal von oben bis unten gemustert hattest, gingst Du auf mein Angebot
ein. Es war alles nicht so schlimm wie es zunächst ausgehen hatte. Und während
die Bücher vor dem Kamin trockneten, tranken wir Tee und plauderten und Du
ließt Deine Augen funkeln, für mich. „Was Du doch romantisch bist,
fürchterlich“, erwidertest Du lachend, „Aber ja, so war es, als Du in mein
Leben schneitest.“ „Eher regnete, aber ich habe eines daraus gelernt“,
entgegnete ich kurz. „Dass man die Augen offenhalten sollte, auch bei so einem
Wetter?“, fragtest Du. „Um Gottes willen, ja nicht, denn dann wäre das nicht
passiert, und Du wärst mir nicht begegnet“, erwiderte ich, „Dass es nicht
stimmt, dass bei so einem Wetter nur Unvernünftige unterwegs sind.“ „Gerade das
war richtig, denn wir waren es doch“, merktest Du an, während ich nun mit
Gewissheit sagen konnte, der Regen im November ist nicht nur im Lied
romantisch.
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