Sehr verehrter Herr Voss!
Wenn ich gefragt würde wer für mich die größten Schauspieler
deutscher Zunge waren, so würden mir ganz spontan zwei Namen einfallen, Oskar
Werner und Gert Voss. Oskar Werner, der unvergessene, unvergleichliche, mit der
Stimme wie Samt und Zedernholz, starb 1984. Ihn durfte ich nicht mehr erleben.
Damals war ich zu jung, und ich kann deshalb auch unumwunden zugeben, die
Nachricht erreichte mich damals nicht, und wenn sie mich erreicht hätte, so
hätte sie für mich doch keine Bedeutung hatte. Doch gestern erreichte mich eine
Nachricht, die für mich sehr wohl Bedeutung hat, die von Ihrem Tod. Nie wieder
würde ich Sie auf der Bühne erleben dürfen, die Sie – wie kaum ein anderer –
mit Präsenz erfüllen konnten. Es war 1986, dass ich Sie zum ersten Mal erleben
durfte als „Richard III“ am Burgtheater. Ich darf heute gestehen, ich ging
völlig unvoreingenommen in diesen Theaterabend, doch die ersten Sätze bereits
versetzten mich in eine andere Welt. Das war nicht Schau-spiel, das war
Lebendigkeit, voll Welt, eine ganz vergangene Welt, die in Ihnen, durch Sie
präsent. An die zehn Mal, vielleicht auch öfter, sah ich in der Folge dieses
Stück, und noch immer trage ich die Stimme im Ohr, eine Stimme, die mich nie
mehr verlassen wird. „Nun bricht durch diesen Winter unseres Missvergnügens die
Sonne mächtig übers Haus der Yorks …“, waren die ersten Worte, und wahrhaftig,
diese Erinnerung, der Klang, der bleibt, die Präsenz, die sich eingebrannt hat,
lässt durch diesen Winter der Betrübnis die Sonne neu erstrahlen. Niemand nach
Ihnen wird die Sonne wieder so strahlen lassen können. Ich möchte damit nicht
die Arbeit Ihrer Kollegen in Frage stellen, doch wie der Dichter seine
einmalige Persönlichkeit in den Text legt, so der Darsteller in das Leben, das
er diesem Text einhaucht. Demzufolge wird es einmalig bleiben, aber da ist noch
etwas, was über Ihre Bühnenpräsenz hinaus auf mich wirkte und nach wie vor
wirkt. Ich war damals, wie Teenager nun mal sind, uferlos in meiner
Begeisterung. So habe ich Ihnen einen Brief geschrieben. Fast drei Jahrzehnte
sind seither vergangen, doch auch das weiß ich noch, als wäre es gestern
gewesen, dass ich im Kaffeehaus saß (wo sonst?) und diesen Brief schrieb,
seitenlang meiner Begeisterung Ausdruck verlieh, weiß es noch, als ob es
gestern gewesen wäre, dass ich tagelang wartete ob Sie mir antworten würden.
Doch was dann kam, das ist mir bis heute unbegreiflich. Nicht nur, dass Sie
diesen langen, langen Brief eines Teenagers beantworteten, Sie taten es in
aller Ausführlichkeit. Sie hatten sich tatsächlich die Zeit genommen mir zu
antworten, auf meine Gedanken einzugehen und Ihre zu erläutern. Ich empfand und
empfinde es nach wie vor als Auszeichnung, denn ich bin überzeugt, dass Sie
sehr viel derartiger Briefe bekamen. Noch heute bewahre ich diesen Brief auf,
und er ist mir nach wie vor wert und kostbar, ein einmaliges Stück Erinnerung,
Zuwendung und Aufmerksamkeit von einem Mann, der als Star auf der Burg gefeiert
wurde, für eine Halbwüchsige. Und die Sonne bricht aufs Neue hervor, durch
diesen Winter. Durch die Trauer über den Verlust, bahnt sich ein Wort den Weg,
das eine Wort, das zu sagen bleibt und das jeden Gedanken begleitet, Danke für
das, was Sie den Menschen in Ihre Präsenz, in Ihrer Lebendigkeit geschenkt
haben, Danke für unzählige Abende atmender Literatur und Poesie, Danke.
In Ehrfurcht verneige ich mich vor einem der größten seiner
Zunft, vor einem großartigen Menschen, in Ehrfurcht und Dankbarkeit.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen