Rückzug
Nach einer ruhigen Nacht auf See
und etlichen Stunden in einem mindestens genauso heftig schüttelnden Bus,
erreichte ich endlich mein Ziel, Ballydavid, einen Ort an der Westküste der
Halbinsel Dingle, gelegen im County Kerry in der Provinz Munster. Nach langem
Suchen hatte ich endlich ein passendes Haus gefunden, ein rundes, mit Blick auf
den Atlantik und weit genug von angrenzenden Häusern entfernt. Natürlich würde
es dort einen Supermarkt und ein Restaurant geben, und all die Dinge, die ich
von meiner Heimatstadt gewohnt war, doch vor allem, hier kannte mich niemand
und es würde mich keiner auf jene unseligen Ereignisse ansprechen. Das Haus war
bereits eingerichtet, doch der Garten war verwahrlost und durch die Fenster zog
es. Erleichtert sah ich, dass das Haus zentral von einem Kamin geheizt werden
konnte, doch ich fand keinerlei Holz, das verheizt werden könnte. Mittlerweile
war es Ende August und die Abende versprachen bereits kühl zu werden, doch vor
allem schien hier durch die Nähe des Atlantiks Feuchtigkeit vorzuherrschen.
Frieren zu müssen lag nun gar nicht in meiner Vorstellung eines bequemen,
kuscheligen Rückzugraumes. Nachdem ich das Wichtigste, also Barnabas und den
Laptop, ausgepackt hatte, wollte ich mich eigentlich sofort in die Arbeit
stürzen, doch es blieb mir nichts anderes übrig als mich nochmals hinauszuwagen
um so triviale Dinge wie Lebensmittel und Brennmaterial zu besorgen. Trivial,
aber nichtsdestotrotz notwendig, damit ich mich wirklich nur mehr auf die
Arbeit konzentrieren konnte.
„Jetzt hast Du so viele Stunden in
einer Kiste verbracht, dann wird es wohl auf ein, zwei Stunden mehr oder
weniger nicht ankommen“, ertappte ich mich selbst beim Gespräch mit einer
leblosen Puppe, als ich sie auf die Couch setzte und ich selbst mich anschickte
das Dorf zu erkunden. Hätte ich das doch früher gemacht, denn dann wäre ich
wohl niemals hier gelandet. Manchmal ist es gut nicht so genau zu wissen was
auf einen zukommt. Wahrscheinlich würde man sich dann ganz anders verhalten,
aber nun war ich einmal da, und diese Entscheidung zu revidieren war keine
Option für mich. Nachdem ich so viele Strapazen auf mich genommen hatte, wollte
ich unbedingt bleiben. Ich fühlte mich sogar Barnabas verpflichtet, den ich ja
sonst völlig umsonst stundenlang in eine Kiste gesperrt hätte. Es wäre sehr schwer gewesen ihm das plausibel
zu erklären. Den Einwand, dass er ja gar keine Erklärung verlangen konnte, ließ
ich nicht gelten, auch nicht da er von mir selbst kam.
Voller Zuversicht betrat ich die
Landstraße, die vor meinem Haus vorbeiführte, doch wohin sollte ich mich
wenden? Nach links oder nach rechts? Welche Richtung führte wohl ins
Ortszentrum? Da entdeckte ich, schräg gegenüber von meinem Tor, einen Fußweg,
der offenbar die Küste entlangführte. Ein Blick auf die Uhr, die drei Uhr
nachmittags anzeigte, bestätigte mir, dass ich noch genügend Zeit hatte mich in
Ruhe umzusehen, genügend Zeit um selbst einen Irrweg in Kauf nehmen zu können.
Der Weg führte über eine Wiese, immer an den steil abfallenden Klippen vorbei.
Zuerst sah ich nur nebenbei aufs Meer hinaus, doch umso weiter ich ging, desto
näher wagte ich mich an die Felsen heran, begann zu sehen, zu hören, zu riechen
und zu fühlen. Quasi mit allen Sinnen, wie Sarah Wegener gesagt hatte. Kurz
schoss mir der Gedanke durch den Kopf und das Bild eines Ehepaares, das schon
viele Jahre miteinander verbrachte hatte und das trotz der Verschiedenheit, der
Stärker ihrer Charaktere auf eine geheimnisvolle, mir nicht entschlüsselbare
Weise, eine Einheit zu bilden schienen, die nicht in einer Symbiose zu bestehen
schien, sondern in einem Behaustheit in ihrem Wir, das genug Raum bot, dass
sich beide entfalten konnten. Niemals hätte ich es für möglich gehalten.
Dennoch, mir genügte meine eigene Entfaltung. Da war kein Raum für mehr
Persönlichkeit. Und langsam entfaltete sich die Stimmung einer schalen Einsamkeit,
die nur einem ungenügenden Gemeinsam entwachsen kann.
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