Zurück im Leben?
Die Arme ausgebreitet, die
Augen geschlossen war ich bereit mich fallen zu lassen. Sanfte, leise Stimmen
drangen zu mir, aber der Sinn erreichte mich nicht. Er wurde vom Tosen der
Wellen verschluckt, das mich zu sich rief – und ich war bereit dem Ruf zu
folgen. Nichts mehr war mir, nichts mehr, was mich halten konnte. Barnabas war
mein Leben gewesen, und dieses Leben war vor meinen Augen zerbröselt. Nach ihm,
da konnte nichts mehr kommen, nichts mehr, wofür es wert wäre weiter zu leben
und zu leiden. Nicht, dass es erstrebenswert wäre, dass das Leben gänzliche
Leidensfreiheit bedeuten würde, aber ein Aufatmen in Ruhe und Zufriedenheit,
zumindest zwischendurch, das wäre schön, aber nicht einmal mehr das dachte ich
als Möglichkeit für mich. Er hatte mich getäuscht. Oder eigentlich hatte ich
mich getäuscht, mir selbst etwas vorgegaukelt. Aber was machte das noch für
einen Unterschied?
Die Stimmen kamen näher,
doch ich war mir immer noch sicher, dass sie mich nichts angingen, bis ich mich
gehalten fühlte. Ich riss die Augen auf und sah gerade noch eine Welle an die
Felsen schlagend. Ohne Schwierigkeiten hätte sie mich zermalmt. Wäre es schnell
gegangen? Hätte ich es gespürt? Man ließ mich nicht, doch dass das Leben noch
da war, dass ich nicht aufgerieben worden war zwischen Welle und Fels, das ließ
mich aufatmen. Vielleicht war ich doch noch nicht bereit gewesen, und die
Hände, die meine Arme ergriffen hatten, zogen mich fort, begütigend auf mich
einredend. Eine weibliche, mütterlich wirkende Stimme in ihrer Sanftheit.
Widerstandslos ging ich mit. Sie brachten mich in ein Haus, schlossen die Türe
und ließen die Wellen und ihre Rufe draußen. Viele Menschen waren in diesem
Raum, und die Luft war erfüllt von Gesprächsfetzen in einer fremden Sprache und
von Lachen, das in jeder Sprache gleich klingt. Langsam kroch wohlige Wärme
über meine Haut. Sanft wurde ich in einen Stuhl gedrückt und kurz darauf stand
ein Teller mit dampfender Suppe vor mir.
„Ich fürchte, ich habe
kein Geld bei mir“, war meine erste Reaktion, „Das braucht man nicht, wenn man
sich dem Meer und den Wellen anvertraut.“
„Also, wenn das Ihre
einzige Sorge ist, Sandra, dann kann ich Sie beruhigen. Sie sind unser Gast“,
antwortete die weibliche Stimme, die mir bekannt vorkam, und als ich aufsah
erkannte ich, es war die Frau von der Fähre, und sie hatte meinen Namen gesagt.
Es ist eine Sache einen Namen zu haben und ihn jemandem mitzuteilen, oder mit
dem Namen angesprochen zu werden. Es klang nach Aufruf und Anteilnahme, danach,
dass sie wirklich mich, mich Sandra Imbricht, meinte.
„Woher wissen Sie wer ich
bin?“, fragte ich staunend.
„Kind, wer kennt Sie
nicht“, entgegnete Sarah.
„Aber auf dem Schiff, da
haben Sie das nicht erwähnt. Ich habe Ihnen tatsächlich abgenommen, dass ich
endlich einen Menschen gefunden hätte, der mich nicht verurteilt“, sagte ich
traurig, denn ich fühlte mich betrogen.
„Und genau deshalb haben
wir auch nichts gesagt. Wozu auch? Hätte es etwas geändert, außer, dass unser
Kennenlernen kein vorurteilsfreies mehr sein konnte?“, fragte Sarah,
„Allerdings muss ich zugeben, wir wollten Sie kennenlernen, nachdem wir Sie
erkannten. Wir wollten uns unser eigenes Bild machen, abseits von all dem was
in den Medien über Sie berichtet wurde.“
„Ist das denn überhaupt
möglich, vorurteilsfrei, nach all der Berichterstattung, die vielleicht nicht
immer gelogen ist, aber doch die Dinge so erzählt, wie es der jeweiligen
Intention entspricht“, merkte ich an.
„Wir kennen die Eckdaten,
nichts weiter, und wir ahnten, dass Sie eine Frau sind, die nichts weiter sucht
als ihr Glück, so wie wir es alle auf unsere Weise tun. Daran ist wohl nichts
Verwerfliches, nur habe ich mich gefragt, ob Sie es wohl auf diesem Weg finden
würden“, sagte Sarah nachdenklich, während ich begann meine Suppe zu essen.
Nicht aus Unhöflichkeit, sondern weil ich keine Antwort hatte. Sie ließen mich
gewähren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen