1702 FastEndZeit


Prolog


Der Fasching geht seinem Ende entgegen. Noch ein letzter Abend, eine Nacht der Ausgelassenheit und der Exzesse, denn wenn uns bevorsteht, dass nun die Fastenzeit kommt, dann wird noch gegessen und vor allem getrunken was geht – oft sogar mehr. Der Sylvester, der traditionelle Was-ich-doch-nicht-alles-besser-machen-will-Tag, ist schon länger vorbei. Deshalb kommen heute die nächsten guten Vorsätze. 40 Tage sind auch leichter durchzuhalten als 365. Die einen wollen auf Alkohol verzichten, andere auf Fleisch, wieder andere auf die Süßigkeiten – und ziehen dabei eine Sauermiene auf, als würden sie gerade ihre letzte Bluse und das letzte Stück Brot hergeben, und müssten von nun an frieren und hungern. Eine einigermaßen zynische Veranstaltung angesichts der Tatsache, dass der größte Teil der Menschheit nach wie vor am Rande des Existenzminimums leben. Natürlich könnte man sagen, diese Menschen brauchen sich um die Fastenzeit nicht zu bekümmern, denn sie tun ja sowieso nichts anderes, aber wir, die wir in Überfluss und Zivilisation leben, wir müssen uns schon sehr anstrengen um in der Fastenzeit was zu leisten, um uns selbst zu kasteien. Das was für andere selbstverständlich ist, müssen wir uns hart erarbeiten. Und sehnsüchtig wandert der Blick auf die Tafel Schokolade, die nun endgültig im Regal eingesperrt wird. So schwer kann das Leben sein. Damit ist der Sinn der Fastenzeit wohl vollinhaltlich begriffen worden. Oder?

Die vierzigtägige Fastenzeit vor Ostern war in früherer Zeit strengen Reglementierungen unterworfen. So war es nicht nur geboten kein Fleisch zu essen, sondern auch keine Eier und keine Milch. Darüber hinaus gab es die Vorschrift der einmaligen Sättigung. Das bedeutet, einmal am Tag satt essen und das, was man sich spart den Armen zu schenken. Diese gehörten übrigens zu den Gruppen, die von den Fastengeboten ausgenommen waren, neben schwerarbeitenden Menschen, werdenden und stillenden Müttern, Kranken und Kindern. Mittlerweile leben wir – und das ist einzigartig in der Geschichte – unter Bedingungen, die es uns ermöglichen diesem Fasten eine ganz neue Bedeutung zu geben – zumindest in der sog. „Ersten Welt“.

Einerseits kann die Fastenzeit uns frei machen, denn wer nicht ständig braucht, nicht immer auf das Haben fokussiert ist, wird offen für das Sein. Die Gedanken sind nicht mehr ausschließlich auf die Materialität und das Einverleiben derselben gerichtet, sondern kann über die generelle Leiblichkeit, Fleischlichkeit hinaus zu einer Freiheit auf die Bestimmung des Mensch-seins hin zielen, Sich enthalten, indem wir uns nicht auf das fixieren, worauf wir verzichten, und uns eben entsprechend leid tun, sondern indem wir uns dem zuwenden, was wir gewinnen, den Blick zu richten auf das was wir sein könnten, jenseits der Fixierung auf unsere Abhängigkeiten.

Aber es ist auch die Zeit, die zu Ostern hinführt, dem Hochfest der Auferstehung, der ein grausamer Tod vorangeht. Nicht das Sterben an sich ist das Beklemmende, sondern das Sterben dessen, der als Wort Gottes Fleisch angenommen hat um den Menschen nahe zu sein, das Sterben dessen, der sich Sohn Gottes nennt und sich für uns bis aufs Äußerste entäußert, sich hinabbegibt in die tiefste aller Tiefen und die fernste aller Fernen, in die umfassendste Verlassenheit und die totale Einsamkeit. Nicht nur einfache Verlassenheit, Einsamkeit, sondern die totale Selbstentäußerung, bis in das alles vernichtende, sich selbst nicht schonende, Nichts hinein, eine Entäußerung, die über alle Vorstellungskraft, alles Elend und alle Not, die denkbar sind, selbst von einem oftmals so kranken Hirn wie das des Menschen, reicht. Eine Unvorstellbarkeit des Schmerzes und der Entsagung, die eigentlich EndZeit bedeutet, die jedoch durch die Auferstehung in eine FastEndZeit aufgelöst wird. So führt die Absolutheit in eine Erlösung, zwar innerweltlich, aber doch mit neuen Möglichkeiten gesegnet. 40 Tage FastEndZeit.

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