1902 FastEndZeit (Teil 2):


Reine Gegenwärtigkeit


Und der Regen blieb, 40 Tage und Nächte. So war zu lesen. Es ist doch beruhigend zu erfahren, dass einige gerettet wurden, Menschen und Tiere. Ob die Erde den Menschen wirklich vermisst hätte. Das Leben selbst sorgt sich nicht um die Zeit. Es ist und entwickelt sich. Vielleicht, wenn alle Landlebewesen vergangen wären, dann hätte nochmals alles von vorne begonnen. Einfach so. Vielleicht wäre der Mensch irgendwo nochmals aufgetaucht. Aber hätte er wirklich jemandem gefehlt. Wenn eine Spezies ausstirbt, irgendwo auf der Erde, dann wird das den Lauf der Welt nicht ändern. Wenn der Mensch ausstirbt, dann wird es wohl auch den Weltenlauf nicht verändern, aber die Erde könnte endlich durchatmen. Es gibt niemanden mehr, der sie plündert, der sie vergiftet und ausnutzt. Wenn nur der Mensch nicht mehr auf der Erde wäre, dann würden die Tiere eines Tages erwachen und sich fragen, wo bleibt er, der Mensch. In erster Linie die Haustiere. Vergeblich warten sie auf ihr Futter. Dann die Tiere im Stall. Niemand, der den Kühen die Milch wegnimmt. Sie schreien vor Schmerzen, denn ihr Körper ist auf die Milchgabe programmiert worden. Sollte es denn sein, dass sie nur mehr Milch gibt, wenn sie ein Kalb hat? Niemand, der den Hühnern die Eier wegnimmt. Sollte es denn wirklich sein, dass sie nur noch Eier legt, damit Küken daraus schlüpfen und die Art erhalten bleibt? Als letztes würden es die Wildtiere merken, wenn der Jäger nicht mehr kommt und sie mit seiner Waffe niederstreckt, wenn sie nicht gefangen genommen werden, gejagt und missbraucht. Und sie würden sich den neuen Gegebenheiten anpassen, weiterleben wie es Tiere eben tun, ohne Gedanken an Gestern oder an Morgen, reine Gegenwärtigkeit. Selbst wo Tiere töten, tun sie es um selbst satt zu werden. Sie denken weder an Vorratshaltung, noch sich zu bereichern, sie leben und achten auf ihr eigenes Überleben. Wenn der Mensch so wäre wie die Tiere, dann könnte niemand ausgebeutet werden. Es wäre kein Gedanke an ein Mehr als Notwendig. Was bleibt jenseits des ewigen Mehr ist das bloße Leben. Nichts weiter. Nichts weniger. Es bleibt als Bestehen als Gelebt, bis es der Tod umarmt, und an seine Stelle tritt ein neues Leben. Es wird immer so sein. Bis zum Untergang. Und selbst wenn diese Erde untergeht, selbst, wenn diese Sonne verglüht, gibt es andere an ihrer Stelle. Es ändert nichts im Weltenlauf, wenn es den Menschen nicht mehr gibt, nur in der Welt selbst. Es ändert nichts im Universumslauf, wenn es diese Erde nicht mehr gibt.

40 Tage Regen ertränken das Leben, zerstören alles, was der Mensch mühsam aufgebaut und angehäuft hat, doch letztlich ist es so gleichgültig wie es nur die Gleichgültigkeit selbst sein kann. Das Große und Ganze hat keinen Einfluss auf unser Denken, denn es ist nicht mehr überschaubar. Es ist zu viel um wirklich zu verstehen. Wenn ich aber in meinem Bett erwache, am 10 Regentag. Längst wurde das Bett durch das Fenster aus dem Zimmer gespült, und ich erwache, dann suche ich Dich. Ich finde Dich auf dem Gipfel eines Hügels. Komm zu mir, in mein Bett, das jetzt unser Boot ist und unsere Zuflucht. Jetzt wirst Du Dich nicht mehr darüber lustig machen, dass ich mir einbildete einen Baldachin über mein Bett spannen zu lassen, denn jetzt ist dieser unser Dach über dem Boot, wenn es immerfort weiterregnet und wir immerfort weitergetragen werden. Es geht nicht ums Große und Ganze, das ich nicht fassen kann, sondern nur um Dich, und es ist gut, dass Du bei mir bist, dass wir uns gefunden haben. Der Regen ist leichter zu ertragen. Der allgemeine Tod spielt keine Rolle, nur der Deine. Noch einmal haben wir es geschafft, haben uns gerettet, auf unser kleines Boot mit dem Dach. Wir haben nichts weiter mehr als uns und unser Boot, uns und unser Leben. Was braucht es mehr. Nur alleine sein, das schmerzt. Ohne Dich. Dein Tod, der berührt mich, aber noch sind wir da, und es kann alles gut werden, trotz des Regens. Niemand weiß es, denn die Wolken lösen sich nicht auf wie sonst immer. Sie bleiben. Und der Regen hält an.

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