2202 FastEndZeit (Teil 5):


Beim Namen genannt


Mosche kam mitten in die Wolke, er stieg auf zum Berg. Mosche blieb auf dem Berg vierzig Tage und vierzig Nächte.[1]

Beim Namen wurde ich genannt. Der Zweifel zerrann mir wie Sand zwischen den Fingern. Es ist nicht möglich verwechselt zu werden. Du nennst mich beim Namen und ich stehe vor Dir, nackt und bloß wie am Tag meiner Geburt, wie am Tag des jüngsten Gerichts. Namensnennung – Neuwerdung und Urteil, in jedem einmaligen Mal. Und es klingt ganz anders, als alle Namen. Ich finde mich darin. Du brauchst nicht zu präzisieren. Es ist die Präzision selbst. Ich brauche nicht nachzufragen. Bin denn wirklich ich es, die Du meinst und nicht vielleicht eine andere? Es ist nicht notwendig. Alle Unsicherheit, alle Verwechslungsmöglichkeit wird getilgt mit der Nennung des Namens. Als ich selbst bin ich berufen in die Urbedingung des Seins. Und diese Bedingung ist dem Ruf zu antworten. In der Personalisierung der Ansprache, werde ich unmissverständlich aufgefordert mich selbst einzubringen. Die Ansprache fordert das Gegenüber, das sich in seinem Selbstsein frei äußert, berufen zu antworten. Keine Gleichgültigkeit, keine Verstocktheit kann die Ansprache im Namen verbergen und verändern. In der Ansprache geschieht Entbergung. Meiner selbst. Deiner selbst. Die Ansprache erfordert eine bewusste Zuwendung zu dem, der den Namen trägt. Nicht wahllos wurde er ausgewählt, sondern bewusst, aus all den anderen. Du hast ihn Dir gemerkt und er bleibt in Dir. Und der Name wird gesprochen. Ich vernehme Deine Ansprache, während ich vielleicht noch beschäftigt bin. Ich habe nicht damit gerechnet. Vielleicht habe ich sie erwartet. Ich bin vorbereitet. Aber ob ich nun damit gerechnet habe oder nicht, ob ich nun vorbereitet bin oder nicht, die Ansprache selbst trifft mich immer wie ein Blitz. Nichts mehr ist wie vor dieser Ansprache. Ich lasse fallen, was ich Händen hielt. Ich lasse fallen, was ich in Gedanken hielt. Ich lasse fallen, was ich in meinem Herzen hielt. Ich wende mich von dem ab, was meine Hände hielt, was meine Gedanken hielt. Ich wende mich von dem ab, was meine Gedanken hielt. Ich bin frei, um meine Hände dem zuzuwenden, der mich ansprach. Ich bin frei, um meine Gedanken dem zuzuwenden, der mich ansprach. Ich bin frei, um mein Herz dem zuzuwenden, der mich ansprach. Ich bin frei für Deine Ansprache, mit Hand, Gedanke und Herz, mit Tat, Denken und Fühlen. Ich bin frei. Zu Dir hin bin ich frei. Doch ich bin gefordert der Ansprache zu entsprechen. Meine Ansprache soll Dein Name sein, der Deiner Ansprache folgt. Ich nenne Deinen Namen. Aber ich kann es auch ablehnen, kann die Ansprache annehmen als geschehen und mich abwenden. Dennoch verbleibt die Ansprache mit meinem Namen in mir. Ich kann sie nicht leugnen, denn sie ist an mich ergangen und sie hat mich erreicht. Die Zukunft hätte darin liegen können, weil Du mir den Weg zu Dir öffnest. Die Vergangenheit hätte darin liegen können, weil Du mich in meinem Geworden-sein ansprichst. Die Gegenwart hätte darin liegen können, weil ich Deine Ansprache hätte zuwendend beantworten konnte. Doch wenn ich sie beantworte im Sinne der Ansprache, dann kann ich bestehen in Deinem Wort, in Deiner Tag, in Deinen Gedanken und in Deiner Zuneigung. Zugeneigt, mit offenem Ohr und offenem Herzen vernimmst Du meine Entscheidung zu antworten indem ich den Namen aufnehme und Deinen Namen nenne oder indem ich den Namen fallenlasse und Deinen Namen verrate. Denn Dein Name ist der, der da ist, für mich, in der Ansprache, in der Zuneigung, in der Wegweisung. Ich nehme es an, lasse fallen was war und sein wird, lasse fallen was ich tat und dachte und fühlte und mache mich frei zu sehen, zu hören und zu tun. Ich bin frei, wenn Du mich beim Namen nennst. Ich höre auf und sehe auf zu Dir. Ich nenne Deinen Namen.


[1] Ex. 24,18. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.

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