2302 FastEndZeit (Teil 6):


Den Weg zu gehen


Du nanntest mich beim Namen und ich wurde. Wer niemals beim Namen genannt wurde, wer niemals als er selbst erkannt wurde, kann nicht werden. Er verbleibt in der Ungenanntheit, unspezifiziert und undifferenziert. Mit der Nennung des Namens werde ich selbst, grenze mich ab zu den anderen, um mich auf sie zubewegen zu können, um auch sie beim Namen nennen zu können. Personifizierung in der Nennung, im Erkennen. Erzähl mir von Dir bekommt hier erst seine eigentlich Bedeutung. Herausgerufen aus dem Allgemeinen in die Besonderheit. So ist das Herausgerufen-sein auch immer Auftrag das Erfahrene weiterzugeben, weiterzuleben, hinauszutragen. Es ist Auftrag zur Weitergabe, aber auch Auftrag zur Aufmerksamkeit, zur Achtsamkeit.
„Sprich und ich höre“, so lautet die Antwort, die der Ansprache entspricht.
„Sprich und ich sehe Dich“, so lautet die zweite Antwort, die der Ansprache entspricht.
„Sprich zu mir und ich spreche zu Dir“, so lautet die dritte Antwort, die der Ansprache entspricht.
„Sprich und ich lasse Dich ein“, so lautet die vierte Antwort, die der Ansprache entspricht.
„Sprich und ich gehe den Weg“, so lautet die fünfte Antwort, die der Ansprache entspricht.

Er sprach zu Mosche: Steig den Berg empor zu mir und sei dort,[1]

Mosche war der Name, den Er sprach. Mit Namen hat Er ihn genannt, und Er war der

Ich
bin dein Gott,
der ich Dich führte
aus dem Land Ägypten, aus dem Haus der Dienstbarkeit.[2]

Der Ansprechende war und ist und wird sein, der Befreiende, aus der Dienstbarkeit, der Knechtschaft aus Ägypten, der Befreiende aber auch aus der Namenlosigkeit in die Namhaftigkeit. Sein Zuspruch ist Tat und Wort und Sein. Mit dem Namen erkenne ich mich selbst, weil Du mich zuerst erkanntest. Nicht ich kann mir den Namen zusprechen, sondern nur Du. Du kannst es mir verweigern, so dass ich mir selbst entnannt werde. Du kannst es mir zuerkennen, so dass ich mir selbst benannt werde. Der Weg in die Freiheit meiner selbst führt immer über Dich. Aber auch Du kannst Dich nicht selbst befreien. Ich nenne Dich antwortend und verantwortend. Bei der Hand nimmst Du mich und führst mich. Und weil der Mensch so verstockt ist, wird die innere Befreiung immer erst glaubwürdig in der äußeren Befreiung. Nicht um seiner selbst Willen hat Er die Befreiungstat getan Sein Volk aus Ägypten zu führen, sondern um des Volkes willen, dass sonst nichts begriffen hätte von der eigentlichen Bedeutung der Nennung. Und Er fordert Mosche, den Er auserwählte in der Nennung, auf dem Berg zu steigen, hoch empor, in die Wolken zu Ihm, um dort zu sein. Du hast mich beim Namen genannt, damit ich hören kann. Du hast mich beim Namen genannt, damit ich hören kann und verstehen. Du hast mich beim Namen genannt, damit ich hören kann und verstehen und den Weg gehe, den Du mir weist. Und der Weg ist ein Zueinander. Ganz gleich wie weit oder eng der Weg ist, wie lang oder kurz, er führt mich zu Dir, und Du forderst nichts weiter von mir als zu sein. In der Nennung geschieht die Enthüllung zum Selbst-Sein, und nun gehe ich den Weg es zu leben, in der Gemeinschaft mit dem Nennenden, in der Gemeinschaft mit dem, dem ich antworte, in der Gemeinschaft mit dem, dessen Ruf ich erhöre. So mache ich mich auf zu Dir. Und das Sein, das mir eröffnet wird, ist die Wurzel all dessen, was nun zu erstehen, zu wachsen und zu blühen beginnt.

Es war der Regen, 40 Tage und Nächte lang, der das Bett, das unser Boot ward hinaustrug. Es war die Flut, 40 Tage und Nächte lang, die das Boot wiegte und schaukelte, bis es wieder Grund fasste. Es war der Name, der mich herausrief, den Du nanntest, der Dich herausrief, den ich nannte. Und wir verließen das, was unser Boot war, dem Ruf zu folgen, den Weg zu gehen, den Namen anzunehmen.


[1] Ex. 24,12. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.
[2] Ex. 20,2. Ebd.

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