Die Gebote
Die Nennung gebar das Individuum, das ich je bin. Und der
Ruf meinte mich, erreichte mich und forderte mich. Und der Weg erstreckte sich
vor mir, ihn zu gehen in das Miteinander, im Miteinander und aus dem
Miteinander. Denn Aneinander werden wir. In der Unwiderruflichkeit der ersten
Nennung. Die auffordert, immer aufs Neue.
Und oben am Berg, inmitten der Wolken, des Feuers, ward
Mosche angekommen um zu sein. Und es war der Ort, an dem er die Gebote empfing,
sie weiterzutragen an all die, die sonst verloren wären in der Gefangenschaft
der eigenen Ziellosigkeit. Es ist kein Angebot, sondern klar und deutlich ein
Gebot. Dass Du weißt, dass ich Dich nicht verlasse, noch Dich wieder in die
Beliebigkeit stürze. Dass Du weißt, dass ich Dir nahe bin. Dass Du weißt, dass
ich Dir bin. So setzen die Gebote die Möglichkeit zur Freiheit im Sein. Jedem,
der mit Namen genannt wurde. Sie nicht anzutasten, weder durch das Beschneiden
Deines Gutes noch Deiner selbst, weder durch das Beschneiden Deiner Zuversicht
durch die Lüge noch durch falsches Zeugnis, weder durch das Alleinlassen in
Alter und Gebrechen noch durch den Einbruch in ein Miteinander, das webt
zwischen den Genannten. Gebote, die die Freiheit fordern und fördern, die die
Achtung ermöglichen. Gebote für das Leben. Ich für mich allein brauche kein
Gebot. Doch ich für mich allein kann nicht sein. Nur als genannt kann ich sein.
Du für Dich allein brauchst kein Gebot. Doch Du für Dich allein kannst nicht
sein Nur als genannt kannst Du sein.. Das Gebot schützt Dich als Genannten. Es
schützt mich als Genannten. Es schützt vor der Beschränkung des Beliebigen. Das
Gebot setzt frei das Leben als wertvoll und unantastbar zu leben. Jeder der
einen Namen trägt. So ward uns aufgetragen Namen zu vergeben, an all jene, die
sich selbst keine geben konnten. Wir verließen das Boot und überquerten die
Erde von einem Ende bis zum anderen. Und was uns an Leben begegnete, ganz
gleich ob Pflanze oder Tier, dem schenkten wir den Namen, der es aufrief zu
sich selbst, und der es unantastbar machte, denn auch für diese galten die
Gebote, die in Freiheit setzen. Nicht zu beschneiden an Leben und Lebensraum.
Das ist die immanente Botschaft der Gebote. Doch kaum, dass sie gesprochen
waren, zeigte der Mensch sein wahres Gesicht und statt die Nennung zu achten,
wiederrief er sie, nicht in seinen Worten, sondern in seinen Taten. Er vergaß
die Gebote der Freiheit, die für alle galten und begrenzte sie auf
seinesgleichen. Und so brachte er Tot über die Ausgeschlossenen und Tot über
deren Lebensraum. Und noch weiter ging die Einschränkung, über die Geltung nur
für seinesgleichen hinweg, zu der Geltung nur für die, die es ihm wert
schienen. Die Ausrottung geschieht, wenn sich die Bedachtsamkeit der Nennung in
eine Beherrschung aus der Aberkennung der Nennung wandelt. Aus dem Genannten
werden zweckdienliche Mittel, enteignet an Selbstsein und Identität. So schnell
ward es vergessen, die eigentliche Aufforderung und die Eignung zum Leben.
Ausnahmen wurden gemacht. Großmütig denen Schutz gewährt, die keines Schutzes
bedurft hätten, wäre die Nennung nicht verloren gegangen. Und der Mensch sagte,
dass die Gebote in einschränken, dass er nicht tun dürfe was er wolle. Und wenn
er gegen die Gebote aufbegehrte, so tat er es, weil er auf die Nennung vergaß,
die ihn ins Sein rief und ihn verstehen ließ, dass die Gebote Freiheit für alle
bewahrten. Und er setzte sich über sich selbst hinweg, indem er bestimmte,
nicht nur erkannte, was Gut und Böse war, was getan werden durfte und was
nicht. So entfernte er sich immer weiter von seiner eigentlichen Nennung. Es
spielte keine Rolle mehr. Und so brachte er Tod und Verderben, Zerstörung und
Sucht. Und die Verlorenen blieben verloren. So dass es nicht Wunder nimmt, dass
die Flut kam. Doch es nimmt Wunder, dass sie wieder ging. FastEndZeit ward,
denn das Sterben nahm kein Ende mehr. Und die Ausbeutung nahm kein Ende mehr.
Ich nahm Dich an der Hand. Vielleicht waren wir die Letzten,
die sich der Nennung und des Anrufes noch bewusst waren. Vielleicht jedoch gab
es noch andere, irgendwo. So machten wir uns auf sie zu suchen.
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