Wie die Kinder
Eure Söhne werden
vierzig Jahre in der Wüste weiden müssen, sie tragen eure Hurerei, bis eure
Leichen in der Wüste sind.[1]
Menschen sind wie kleine Kinder. Immer sind sie wie kleine
Kinder. Sie kommen über das Stadium des Kind-seins nicht hinaus. Äußerlich
werden sie zu Erwachsenen, groß und behaart und verändert, doch innerlich
bleiben sie Kinder. Auch wenn sie nicht behandelt werden wie Kinder, so
benehmen sie sich so. Sie wollen haben, was der andere hat. Gierig und sabbernd
visieren sie das an, was sie haben wollen, weil es der andere hat, auch wenn
sie es nicht brauchen. Sie wollen nur nicht weniger haben – und meinen dann
auch nicht weniger zu sein. Dabei hat das Sein mit dem Haben nur insofern etwas
gemein, als dass das Sein die Grundkonstituente des Seienden bildet, das sich
den Nichtigkeiten zu- und dem Existentiellen abwendet. Wir bleiben kleine
Kinder, wenn wir nach dem Richter schreien, wie früher nach der Mama. Wir
meinen uns ständig ins Unrecht gesetzt. Es kann nicht angehen, dass wir
Ungerechtigkeiten zu erdulden haben. Es sind die Nichtigkeiten, die uns
verführen. Glitzer und bunte Farben. So stehen wir mit großen, glänzenden Augen
davor, wie Kinder vor dem Spielzeug. Die Art der Dinge ändert sich, aber nicht,
dass die Dinge an sich unser Herz beherrschen. Und selbst wenn das Urteil 40
Jahre Verdammung in der Wüste bedeutet, so wird sie abgesessen, um dann ebenso
wieder zu verfahren wie zuvor. Wie ein Gefangener, der nur auf den Tag seiner
Entlassung wartet, um an diesem Tag genau dasselbe Verbrechen zu begehen, weil
die Einsicht nicht erfolgte und keine Entwicklung. Das Kind, das der Mensch
blieb, verlangt nach sofortiger Erfüllung seiner Wünsche, verlangt die
Bestrafung der vermeintlichen Feinde, verlangt den Himmel und die Erde –
verlangt alles. Was es nicht bekommt, eignet er sich an. Ungeniert und ohne
Bedenken. Nichts was hält außer die eigene Unzulänglichkeit. Und darüber
geraten wir in Wut und schlagen an die Wände und auf den Boden, rennen mit dem
Kopf gegen die Wand. In der Uneinsichtigkeit erkennen wir die Sinnlosigkeit
nicht. Bloß eine Betäubung. Doch vor allem sehen wir unsere eigene Hybris
nicht, denn wir wollen immer größer sein, als wir sind, ohne der Größe
gewachsen zu sein, wollen uns aufschwingen in Höhen, in denen wir nicht mehr
atmen können. Und wir wissen noch nicht einmal warum wir es wollen. Dass wir es
wollen scheint zu genügen. Dass wir wollen rechtfertigt das Wollen. Es wird
nicht hinterfragt. Und was wir nicht sofort erhalten, wer unseren Wünschen
nicht sofort entspricht, ja wer uns gar Mühe und Plage auferlegt, von dem
wenden wir uns ab, so sehr wir seiner auch bedürfen, wenden uns ab und
marktschreierischen Versprechungen der Blender und Heuchler zu. Sie brauchen
sich nicht zu erweisen, damit wir ihnen glauben. Wir glauben ihnen einfach so,
weil sie versprechen, und weil wir meinen, dass jeder, der verspricht auch
hält, und wenden uns von dem ab, der uns das Geheimnis anvertraute, dass zu dem
Erlangen ein Weg führt, ein harter, steiniger Weg oft, den wir zuerst gehen
müssen. Aber wir wollen nicht erst gehen und dann erreichen, sondern sofort
erreichen. Und wenn einer kommt, der uns das verspricht, dann wenden wir uns
diesem zu. Und wenn wir erkennen, dass er uns hinters Licht geführt hat, dass
er seine Versprechungen nicht einlöst, dann wenden wir uns wieder ab, und dem
nächsten zu, der dieselben Versprechungen macht. Und wieder glauben wir, nur
von dem, der die Wahrheit sagt, wollen wir nichts wissen. Und jedes Mal irren
wir durch die Wüste, ohne dazu zu lernen.
40 Tage
40 Monate
40 Jahre
Und wir bleiben wie die Kinder, unbelehrbar nur, weil wir
meinen als Erwachsene nichts mehr lernen zu müssen, uns nicht mehr entwickeln
zu müssen.
[1] Num. 14,33. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam
mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.
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