Wenn Du vergisst ...
Wenn Du vergisst, den Anruf, der Dich nannte bei Deinem
Namen und Dich herausrief aus der Gleichförmigkeit zu Dir selbst, den Ruf, und
die Antwortung als Verantwortung, dann wirst Du es Dir selbst zuschreiben, und
denken, ich habe es vollbracht.
Wenn Du vergisst, dass allem Tun und Lassen, allem Bestehen
und Erbauen, allem Schaffen und Werden der Ruf voranging, der Dir Schutz und
Halt und Fortkommen war, dann wirst Du denken, dass Du alleine stark genug
bist, dass das alles durch Dich wurde.
Wenn Du vergisst, dass Du wardst am Du, das sich Dir
hinbeugte, Dir Schutz und Wahrung ward und ist, dass Du Dich aus dem Einerlei
in ein Gemeinsam verwandeltest durch den Namen, dann wirst Du auch darauf
vergessen, dass Du allein versunken wärst in der Flut der vierzig Tage, dass Du
allein versunken bliebst in der Undefinierbarkeit des Wassers und der
Undifferenziertheit. Denn nicht Dich zu begrenzen, sondern Dich zu befreien
ward das Gebot.
All das Gebot, das ich
heuttags dir gebiete, wahrets im Tun, damit ihr lebt, euch mehrt, kommt und
ererbet das Land, das Er euren
Vätern zuschwor.[1]
Das Gebot, das Dir das Leben schenkte, Dich aufforderte zu
tun, das Land zu bearbeiten, es zu versorgen, dass Dir Frucht daraus erwachse,
dass Du mit dem Land lebtest, und nicht dagegen, dass Du im Miteinander
lebtest, und nicht im Gegeneinander, das nur das Vergessen bewirkt. Hybris der
Selbstwerdung, der Selbstmächtigkeit. Du wendest Dich um, gerade noch warst Du
voll Dankbarkeit, und schon fiel sie von Dir ab und ward gedankenlos erstickt,
und Du machtest Dein eigenes Tun dafür verantwortlich.
Meine Kraft, die
Markigkeit meiner Hand hat mir dieses Vermögen gemacht![2]
So denkst Du, Du könntest Deinen Händen und Deinem Geist
alles zutrauen, Deinem allein, und Du wendest Dich ab vom Du und konzentrierst
Dich auf Dich selbst. Es geht Dir gut. Du wirst satt und träge und müde und
eingezogen wie eine Einsiedlerschnecke. Erkennst den Bruder nicht und nicht die
Schwester, die Mutter, den Vater, noch irgendjemanden, der um Dich ist.
Manchmal jammerst Du über Verdauungsprobleme. Doch wie sollte es anders sein,
wenn Du alles in Dich hineinfressen willst, alles um Dich horten, und nichts
mehr von Dir hergeben willst, weder das Stück Brot, um das Dich der bittet, der
hungert, noch den Schlafplatz für den, der in der Kälte steht, noch das Hab und
Gut, das den Armen helfen könnte, ja noch nicht einmal den Unrat willst Du aus
Deinem Körper lassen, der ihn nach und nach vergiftet. Und so wie Dein Körper
vergiftet ist von der Völle, die Du im zumutest, so ist es auch Deine Seele und
Dein Herz, doch diese verdorren, weil Du ihnen die Nahrung des Seins
verweigerst.
Wenn Du dessen vergisst, der Dich herausrief mit Deinem
Namen, wirst Du wirr in Deinen Sinnen und Deinem Tun, wirst raffgierig und
hartherzig und verschlossen. Und der Zugang, den Du anderen verweigerst, wird
Dein eigenes Gefängnis sein. Lässt Dich blenden von der Fülle und dem Glanz,
der doch nur Aufputz ist, hinter dem nichts steckt, weder Inhalt noch Geist. Du
lässt Dich blenden von den Äußerlichkeiten und meinst, es ist genug dies zu
sehen. Mehr ist nicht notwendig. So verehrst Du die goldene Statue, auch wenn
sie bis obenhin gefüllt ist mit Unrat und Gülle. Du verbleibst im Äußerlichen.
Wenn Du vergisst, dass Dich der, der Dich beim Namen rief,
ins Leben rief, dann vergisst Du zu leben.
Wenn Du vergisst, dass Dich der, der Dich beim Namen rief,
ins Sein rief, dann vergisst Du zu sein.
Wenn Du vergisst, dann bist Du vergessen.
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