0203 FastEndZeit (Teil 13):


Wenn Du vergisst ...


Wenn Du vergisst, den Anruf, der Dich nannte bei Deinem Namen und Dich herausrief aus der Gleichförmigkeit zu Dir selbst, den Ruf, und die Antwortung als Verantwortung, dann wirst Du es Dir selbst zuschreiben, und denken, ich habe es vollbracht.

Wenn Du vergisst, dass allem Tun und Lassen, allem Bestehen und Erbauen, allem Schaffen und Werden der Ruf voranging, der Dir Schutz und Halt und Fortkommen war, dann wirst Du denken, dass Du alleine stark genug bist, dass das alles durch Dich wurde.

Wenn Du vergisst, dass Du wardst am Du, das sich Dir hinbeugte, Dir Schutz und Wahrung ward und ist, dass Du Dich aus dem Einerlei in ein Gemeinsam verwandeltest durch den Namen, dann wirst Du auch darauf vergessen, dass Du allein versunken wärst in der Flut der vierzig Tage, dass Du allein versunken bliebst in der Undefinierbarkeit des Wassers und der Undifferenziertheit. Denn nicht Dich zu begrenzen, sondern Dich zu befreien ward das Gebot.

All das Gebot, das ich heuttags dir gebiete, wahrets im Tun, damit ihr lebt, euch mehrt, kommt und ererbet das Land, das Er euren Vätern zuschwor.[1]

Das Gebot, das Dir das Leben schenkte, Dich aufforderte zu tun, das Land zu bearbeiten, es zu versorgen, dass Dir Frucht daraus erwachse, dass Du mit dem Land lebtest, und nicht dagegen, dass Du im Miteinander lebtest, und nicht im Gegeneinander, das nur das Vergessen bewirkt. Hybris der Selbstwerdung, der Selbstmächtigkeit. Du wendest Dich um, gerade noch warst Du voll Dankbarkeit, und schon fiel sie von Dir ab und ward gedankenlos erstickt, und Du machtest Dein eigenes Tun dafür verantwortlich.

Meine Kraft, die Markigkeit meiner Hand hat mir dieses Vermögen gemacht![2]

So denkst Du, Du könntest Deinen Händen und Deinem Geist alles zutrauen, Deinem allein, und Du wendest Dich ab vom Du und konzentrierst Dich auf Dich selbst. Es geht Dir gut. Du wirst satt und träge und müde und eingezogen wie eine Einsiedlerschnecke. Erkennst den Bruder nicht und nicht die Schwester, die Mutter, den Vater, noch irgendjemanden, der um Dich ist. Manchmal jammerst Du über Verdauungsprobleme. Doch wie sollte es anders sein, wenn Du alles in Dich hineinfressen willst, alles um Dich horten, und nichts mehr von Dir hergeben willst, weder das Stück Brot, um das Dich der bittet, der hungert, noch den Schlafplatz für den, der in der Kälte steht, noch das Hab und Gut, das den Armen helfen könnte, ja noch nicht einmal den Unrat willst Du aus Deinem Körper lassen, der ihn nach und nach vergiftet. Und so wie Dein Körper vergiftet ist von der Völle, die Du im zumutest, so ist es auch Deine Seele und Dein Herz, doch diese verdorren, weil Du ihnen die Nahrung des Seins verweigerst.

Wenn Du dessen vergisst, der Dich herausrief mit Deinem Namen, wirst Du wirr in Deinen Sinnen und Deinem Tun, wirst raffgierig und hartherzig und verschlossen. Und der Zugang, den Du anderen verweigerst, wird Dein eigenes Gefängnis sein. Lässt Dich blenden von der Fülle und dem Glanz, der doch nur Aufputz ist, hinter dem nichts steckt, weder Inhalt noch Geist. Du lässt Dich blenden von den Äußerlichkeiten und meinst, es ist genug dies zu sehen. Mehr ist nicht notwendig. So verehrst Du die goldene Statue, auch wenn sie bis obenhin gefüllt ist mit Unrat und Gülle. Du verbleibst im Äußerlichen.

Wenn Du vergisst, dass Dich der, der Dich beim Namen rief, ins Leben rief, dann vergisst Du zu leben.

Wenn Du vergisst, dass Dich der, der Dich beim Namen rief, ins Sein rief, dann vergisst Du zu sein.

Wenn Du vergisst, dann bist Du vergessen.


[1] Dt. 8,1. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.
[2] Dt. 8, 17b. Ebd.

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