Der Kreislauf des Lebens
Und die Welt ist dieselbe, in der Wüste und außerhalb der
Wüste. In vielen verschiedenen Schattierungen zeigt sie sich uns, immer aufs
Neue, doch gleich welchen Teil der Welt wir betrachten, ganz gleich, wo wir uns
befinden, überall folgt das Wachsen dem Keimen, die Reifung dem Wachstum und
das Vergehen der Reifung. Es ist bei der Pflanze so. Und beim Tier. Und beim
Menschen. Immer wieder beginnt im Einzelwesen dieser Kreislauf von vorne und
endet in diesem Wesen. Und immer wieder wird Kreis auf Kreis auf Kreis. Wir
haben es beobachtet, vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang. Vom Aufgang des
Frühlings bis zur friedvollen Ruhe im Winter. Anders ist es in der Wüste und in
der Steppe, aber immer ist es ein Kreis, den wir durchwandern. Und diese
Kreisläufe greifen ineinander, so dass wir nicht nur unserem eigenen keimen, wachsen,
reifen und vergehen beiwohnen, sondern das Vergehen sehen an anderen und das
Keimen ebenso. Immer sind wir umgeben von je eigenen Kreisläufen, die
vielleicht gerade eben erst begonnen haben oder kurz davor sind zu enden, die
in einem anderen Takt laufen, als unser eigener. So lernen wir Abschied zu
nehmen und Willkommen zu heißen, lernen zu beschützen und pflegen, zu begleiten
und zu führen. Wir lernen das Leben in all seinen Facetten und Möglichkeiten,
als je es selbst. Denn die ganze Fülle und Einmaligkeit steckt in der
kleinsten, unscheinbarsten Blüte genauso, wie im großen, alles überragenden,
überschattenden Baum. Das Prinzip bleibt das gleiche, doch immer aufs Neue
lässt es uns staunen, wenn wir bereit sind unsere Augen zu öffnen und zu sehen.
Dein Aufruf in die Namhaftigkeit, rief mich auch auf zu beschützen und zu
bewahren, zu achten und zu ehren, in allem, das Leben, das sich selbst immer
wieder neu präsentiert und formiert. Zu lernen, dass es uns nur so weit
dienstbar sein darf, so weit wir diese Dienste wirklich benötigen. Es ist das
wahre Ziel der Reifung diese Grenze zu kennen. Bis wohin muss ich das Leben
nutzen meine grundlegenden Bedürfnisse zum Leben und Überleben zu befriedigen,
und ab wann beginne ich es zu zerstören, meine Lust an der Destruktivität und
an der Macht auszuleben. Wenn ich auf einen Grashalm steige, so wird er sich
wieder aufrichten, doch das Rückgrat, das ich breche, wird nicht mehr heil. In
Freiheit zu leben ist immer zugleich Berechtigung und Auftrag. Berechtigung meine
Freiheit zu leben und Auftrag die Freiheit der anderen zu erhalten. Das ist der
Grund der Gebote. Ohne Freiheit keine Gebote, und ohne Gebote keine Freiheit.
Eigentlich ist es von jeher in uns festgeschrieben. Nur sie auf die Steintafeln
zu meißeln ist ein Zugeständnis an unsere Verstocktheit, die uns die Hand vor
den Augen übersehen lässt. Manche sind schon so weit das Gebot in ihrem Herzen
zu tragen und ihre Hand die Ausführung bewerkstelligen zu lassen. Doch viele
von uns sind es noch nicht. Wer nicht genug Kraft in den Beinen hat, braucht
einen Stock, auf den er sich stützt. Wer nicht die Gebote in seinem Herzen
trägt, der muss sie niedergeschrieben bekommen, dass das Geschriebene ihn an
das zutiefst menschliche erinnern. Der Mensch sieht nicht und er hört nicht. Er
muss sehend und hörend gemacht werden. Der Mensch kann sehen und hören. Doch er
muss es wollen, zu sehen und zu hören. Und so wie er sich auf das Leben
einlässt, so lässt er sich auf den ein, der ihn herausrief, und so lässt er
sich auf die ein, die er herausrief. Die Namenlosigkeit zu überwinden, ist der
erste Schritt in die Freiheit, die dann zurecht meine heißt, so wie ich über
meinen Namen verfüge und entscheide, ob ich ihn Dir offenbare und mich darin
Dir zu erkennen gebe. Es gibt nichts, was ich nicht verheimlichen könnte. Es
gibt aber auch nichts was ins Leben führte, wenn ich ihn verheimliche. Die
erste Hybris ist die Verheimlichung, das bewusste Hintanhalten meiner Selbst,
das Verstecken vor Dir, wo ich Dich doch verlange. So hat der Mensch begonnen
sich dem anderen zu entzweien, dem, der mich rief und dem, den ich rief. Zu
entzweien, obwohl wir uns nach nichts mehr sehnten und immer noch sehnen, als
nach dem Du, dem ich nahe sein kann, wenn die Freiheit lebt, wenn das Wort
lebendig bleibt und das Eigen-sein Anerkennung findet. Dem ich nahe sein kann
und der mir nahe sein kann, wenn ich liebend bleibe, wenn Du liebend bleibst.
Und der Kreislauf des Lebens ist die fleischgewordene Liebe und das Wort, das
Leben schafft.
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