Abwendung
Die fleischgewordene Liebe und das Wort, das Leben schafft,
wurde nicht müde, nicht zu sein und nicht zu bleiben, unter uns, verbindend und
wertschätzend, wurde nicht müde Dich herauszurufen aus dem Elend der
Nichtigkeit in eine Personalität. Wie lange muss ich noch aushalten ich zu
sein? Wie lange muss ich noch aushalten in dieser Welt, in dem ich nur das
Elend sehe? Kurzsichtig ist der Mensch. Nicht in der Lage des Moments zu sein,
zu wahren, zu bleiben. Immer läuft er davon, zumeist vor sich selbst. Vierzig
Jahre, und doch sind auch vierzig Jahre nichts weiter als die Aneinanderreihung
von Tag auf Tag auf Tag, bis auch diese Jahre um sind, doch er sieht nur die
weite Entfernung, und gibt auf. Wäre es besser gewesen nichts zu wissen? Wäre
es besser gewesen die Wahrheit zu verheimlichen? Die Ungewissheit ist ebenso
rätselhaft wie die Weite, aber nicht so entmutigend. Es könnte sein, jederzeit.
Wenn der neue Tag beginnt und die Hoffnung auflebt, dass es heute so weit sein
könnte, bis die Sonne untergeht, und wieder eine Hoffnung gestorben ist. Tag um
Tag um Tag. Gestorbene auf gestorbene Hoffnung. Wie viele dieser gestorbenen
Hoffnungen erträgt der Mensch? Er sehnt sich zurück in die Namenlosigkeit und
Unbestimmtheit. Was hat sie ihm den gebracht, die Namhaftigkeit? Es ändert
nichts am Elend des Mensch-seins an sich. Aber ich kann mein Elend als meines
benennen. Es ist nicht länger irgendeines unter vielen. Aber dennoch begehrt er
auf. Herdenvieh zu sein, das ist einfacher, ohne Eigenes, immer mittendrin, mit
dabei sein, mit sein und sich nichts versprechen. Doch wenn er benannt wird,
dann erhält er ein Versprechen, und er fühlt sich verraten, weil er das
Versprechen falsch versteht. Wie ein kleines Kind will er in den Arm genommen
werden, getragen, über die Steine hinweg, die auf seinem Weg liegen, dass sie
seinen Fuß nicht verletzen, über die Unbilden des Lebens hinweg, dass sie
seinen Geist nicht aufrütteln, über die Sehnsüchte hinweg, dass sie seinem Herz
nichts anhaben, über die Liebe hinweg, dass sie seinem Herz nichts erleiden
lasse. Doch er sieht nicht die Verschwiegenheit in der Vertrautheit, sieht
nicht das Werk und die Vollendung an jenem Sonnenuntergang, da er sein Schaffen
und sein Bemühen beendet und ein Werk vollendet hat, weil es so weit weg scheint.
Viel zu weit weg. So legt er die Hände in den Schoß, und in diesem Schoß
verdorren sie, so wie der Schoß selbst, so dass er seine nicht einmal mehr
anklagend gen Himmel erheben kann, nicht mehr die Stimme erhebt gegen das
Unrecht und die fortwährende Verlassenheit, in der er sich fühlt. Aber der, der
ihn rief, der ist da, um ihn, immer, nur will er nicht glauben, dass der
Rufende nicht auch sein Werk erbringt. Hände in den Schoß zu legen. Die
Verantwortung des Rufenden ist nicht die eines Entmündigenden. Es ist die
Verantwortung in die Freiheit zu entlassen, nur die Freiheit ist nicht tragbar,
wenn man doch selbst getragen werden will, wenn einem die Last des eigenen
freien Lebens zu viel scheint. Dazu seien diese Schultern nicht gemacht, die
Verantwortung selbst zu tragen. Dazu seinen diese Füße nicht gemacht, die
Freiheit zu durchwandern. Dazu seien diese Hände nicht gemacht, das Werk zu
vollenden. Der, der rief muss das alles machen. Er darf nicht stehenbleiben
beim Rufen, sondern weitermachen, alles machen. Doch er endet beim Ruf, und bei
der Selbstbestimmung. So unerträglich. Gellt in den Ohren, unablässig. Ach
hätte er ihn niemals vernommen, den Ruf in die Freiheit, dann wäre er auch
nicht verpflichtet gewesen sie zu nutzen. Hätte er niemals erfahren, dass er
zur Tat berufen ist, und die Kraft zur Ausführung bekommen hat. Dann hätte er
sich nicht entscheiden müssen. Doch er hat ihn vernommen. Immer aufs Neue wird
er darauf gestoßen, wenn von ihm verlangt wird Selbst zu sein, doch er sieht
auch den anderen Ausweg, den, sich vom Rufenden abzuwenden, dem zuzuwenden, der
ihm flüsternd, verführend eingibt, es gäbe einen leichteren Weg. Nichts weiter
ist zu tun, als sich abzuwenden von dem, der Dich ins Leben rief, hin zu dem,
der ihm ein Leben verspricht, in dem alle Hindernisse aus dem Weg geräumt
werden, ohne die Hände aus dem Schoß nehmen zu müssen. Es klingt so
verführerisch. So dass er sich abwendet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen