Verlorenheit
Wendest Du Dich ab von dem, der Dich in die Namhaftigkeit
rief, wendest Du Dich ab, von dem, der Dich zu Dir selbst, Deiner Eigenheit
berief, wendest Du Dich ab, von dem, der Dich in Freiheit entsetzte, wendest Du
Dich ab, von dem, der Dich ins Leben, in die Liebe rief, dann wendest Du Dich
ab von Dir selbst. Leere Hülle in der Du verloren bist. Es ist die Wüste um
Dich, und die Wüste in Dir. Du suchst nach etwas, mit dem Du die Leere füllen
kannst. Lässt Dich betören, verführen von Nichtigkeit und Vergeblichkeit, lässt
Dich einwickeln von falschen Versprechungen, durchschaust nicht die
Verlogenheit und die Selbstbezüglichkeit. Deine Zunge lechzt nach Wasser in der
Wüste. Deine Eingeweide verlangen nach Nahrung. Zu tränken und zu sättigen.
Aber Du siehst nicht, dass es Dein Geist ist, der nach Verbindung lechzt, Deine
Seele, die des Anrufes in Einsamkeit entbehren muss und Dein Herz, das des
Zuspruchs entbehrend, verhungert. Wenn Du Dich selbst entlässt in die
Bedeutungslosigkeit, so bist Du unerreichbar. Bleibst unerreichbar, und doch
glaubst Du, dass Du im Haben etwas entbehrst, während Dir Dein Sein
entschwindet. Selbst hast Du Dir die Quelle Deiner Existenz entzogen, den Boden
Deiner Verwurzelung. Du selbst warst es, der Dich der Verlorenheit preisgegeben
hat. Du schreist nach Gerechtigkeit? Du schreist nach Wiedergutmachung? Wer
soll Dir Gerechtigkeit bringen für Deine Missetat? Wer soll Dir
Wiedergutmachung verschaffen für Dein eigenes Vergehen? Wie ein Kind agierst
Du, das sein Spielzeug fallenlässt und dann nach der Mutter schreit, dass es
diese wieder repariere. Was sagst Du? Der Boden hat mein Spielzeug zerschellen
gemacht und es in tausend Stücke zersplittert. Die Luft hat es nicht
aufgefangen und auf den Boden fallen lassen. Der Wind hat es meiner Hand
entrissen. Doch niemals erwägt es, dass es selbst es fallen ließ. Du hast Dich
abgewandt, aber Du sagst, es ist die Sonne, die mich verdorrt und der Wind, der
mich vertrocknet und die Nacht, die mich frieren lässt, aber niemals sagst Du,
dass allem die Abwendung in die Verlorenheit aus dem Ruf voranging. Niemals
bringst Du es in einen Zusammenhang. Du lachst über das Kind, das nichts
versteht. Du lachst nicht über Dich, der Du nichts verstehst. Augen hast Du,
und kannst doch nicht damit sehen. Ohren hast Du, und kannst doch nicht damit
hören. Einen Mund hast Du, und findest doch nicht die richtigen Worte, das
richtige Wort. Denn Deine Augen sehen nur äußerlich und Deine Ohren verstehen
nur äußerlich, und Dein Gesagtes bleibt an der Oberfläche. Du tauchst nicht
mehr ein. Das Wasser des Lebens, das Dich umströmte und annahm, zärtlich,
liebevoll, hast Du verwandelt in Eis und eine spiegelnde Oberfläche, in der Du
nur mehr Dich selbst siehst. Hundertfach. Tausendfach. Und Dein Leid ist Dein
eigenes. Und Dein Schmerz ist Dein eigener. Lindere mein Leid, forderst Du!
Heile meinen Schmerz, verlangst Du! Aber Du hast Dich abgewandt, bist
abgeglitten in die Verlorenheit, ohne es zu sehen, ohne es zu spüren. Wann Du
aufgehört hast? Es gibt nichts zu erinnern, in einer Welt der Verlorenheit. Es
gibt nichts zu verstehen, in einer Welt der Abwendung. Und Du hast begonnen zu
bauen, immer mehr und immer höher. Hast begonnen zu horten, Dinge und Menschen.
Alles was leer war, hast Du gefüllt und Dich damit bereichert. Nichts durfte
bleiben wie es war. Alles musstest Du verändern, nach Deinem Plan, doch so sehr
Du auch fülltest und bereichertest und verändertest, Du konntest die Leere in
Dir nicht füllen, die Abwesenheit nicht bereichern und die Verlorenheit nicht
verändern. Und doch meintest Du, Du müsstest Dich noch mehr anstrengen, noch
mehr von dem machen, womit Du einmal begonnen hattest, mehr von dem, was Dich
wegbrachte. Du hattest keine andere Wahl, weil Du keine Zeit hattest Dich
niederzusetzen und zu besinnen. Jetzt sitzt Du, inmitten des Habens, und nichts
gibt es, was Dir angehören würde, wie viel auch immer Dir gehört. Und so sahst
Du auch das Leben nicht, das Du entseeltest, so wie Dich selbst. Es ward
nichtig und wertlos. Gebrauchsgegenstand unter vielen, inmitten der
allumfassenden Verlorenheit.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen