Das Böse
Die Söhne Jifsraels
taten weiter das in Seinen Augen
Böse, Er gab sie in die Hand der
Philister, vierzig Jahre.[1]
Und in der Verlorenheit der Seele liegt das Böse. Nicht im
Brechen der äußeren Verpflichtungen, in Lüge und Betrug, in Falschheit und
Verderbtheit. Das Böse ist das, was Dich Dich abwenden lässt vom eigentlichen
Lebensquell, und die Zurückweisung des Anrufes. Das ist der Ursprung. Lässt
sich der Weg zurückgehen, durch die vierzig Jahre in der Wüste, die vierzig Tag
der Flut und die vierzig Tage des Regens, bis zum Anfang, bis zu dem Zeitpunkt,
da die Abwendung ward und die Verlorenheit begann? Lässt sich etwas ändern, an
dem Du festhältst? Besser allemal, meinst Du, ist es das zu haben und zu
halten, auch wenn es schlecht ist und dem Leben abträglich, besser als die
Unbestimmtheit des Seins. So bleiben Deine Hände verkrampft, verkrallt. Du
willst nicht loslassen was sich darinnen befindet, willst die Hände nicht
öffnen. Dann, meinst Du, dann wäre alles verloren. Würdest Du die Hände öffnen,
dann würdest Du merken, dass sich darin Nichts befindet, und dieses Nichts
frisst sich durch die Haut Deiner Hände, frisst sich durch Dein Fleisch, frisst
sich durch Deine Knochen, frisst sich durch Deine Eingeweide, nur die Hülle
lässt sie ganz, die sie in Besitz nimmt. Würdest Du die Hände öffnen und das
Nichts der Nichtigkeit überführen, dann könntest Du, die Finger ausstreckend,
Deine Hände in ein Gefäß wandelnd, in das Dir das Geschenk des Lebens gelegt
werden könnte, und wenn Du das Gefäß beließest und nicht rasch die Finger darum
verschlössest, dann bliebe es Dir, indem Du es weiterschenkst. Es wurde die
Wunde heilen, Deiner Haut, Deines Fleisches, Deiner Knochen, Deiner Eingeweide,
Deines Herzens, doch Du hast solche Angst, dass Du besitzlos wärest, würdest Du
das Haben nicht verschließen, dass Du Dich nicht heilen lassen kannst. Lieber
überantwortest Du Dich dem, der Dich unterwirft, übergibst Du Dich dem, der
Dich gefangen nimmt, Dir wieder das Joch auf die Schultern legt und Dir
abverlangt was auch immer er will, der Dich mit Willkür und Eigennutz
beherrscht, als dass Du losließest, um Deiner selbst willen, um Deiner Freiheit
willen. Hast Du denn alles vergessen? Hat das Wasser des Regens Dein Gedächtnis
ausgewaschen? Hat der Wüstenwind die Bilder verweht? Hat die sengende Sonne
Dein Herz gänzlich vertrocknet? Lieber gehst Du in Gefangenschaft des Bösen,
als dass Du die Freiheit des Miteinander wählst. Lieber lässt Du Dich knechten
und Dich Dir selbst entfremden, bevor Du die Liebe wählst. Und dennoch, trotz
allem hat der Ruf nicht nachgelassen. So oft Du ihn zurückweist, so oft kommt
er zu Dir zurück. Du bist in Gefangenschaft, doch sie wird enden, nach vierzig
Jahren. Du bist dem Bösen verfallen, doch es wird sich wenden, nach vierzig
Jahren. So sehr Du auch von der Quelle des Lebens wegbewegst, so tief Du auch
fällst, immer ist da ein Auffangen. Es fragt nicht nach Verdienst, nicht nach
Einsicht, nicht nach Reue, nur nach Deiner Annahme. Immer ist es da, Rettung,
Heilung und Umarmung.
40 – Zeit der Reife, Zeit der Prüfung, Zeit der Erziehung.
Es ist um Deinetwillen, dass Du die Zeit erhältst, zu
reifen, zu Dir selbst zu gelangen, zu einem Auge, das sieht, zu einem Ohr, das
hört, einem Mund, der das Wort des Lebens zu sprechen vermag, und einem Herz,
das versteht. Es ist um Deinetwillen. Der, der Dich ruft, er erwartet Dich, am
Ausgang der vierzig Tage ebenso, wie der vierzig Jahre, wenn sie endet, die
Zeit der Reife, der Prüfung und der Erziehung. Seine Geduld ist grenzenlos und
allumfassend.
[1] Ri. 13,1. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam
mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.
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