0803 FastEndZeit (Teil 19):


Den Weg zu gehen


Er erhob sich, aß und trank, dann ging er in der Kraft dieser Atzung vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes Choreb.[1]

So viele Stimmen umschwirren uns. Alle wollen sie uns den Weg weisen. Sie flüstern, versuchen, beeinflussen, verssprechen und bezirzen. Ganz leicht soll es sein, meinen sie. Es bedarf nicht viel, nicht viel Deiner Zeit und nicht viel Einsatz. Das größte Ziel ist ohne Mühe zu erreichen. Das hörst Du gerne. Du lächelst, denn Du denkst, wenn das stimmt, dann brauche ich doch nicht viel zu tun, es fällt mir doch in den Schoß wird mir versprochen. Reichtümer und Glück, das wird Dir zukommen. Und Du lässt Dich verführen, doch es ist niemals so. Du hast Dich verführen und blenden lassen. Du kannst nicht Lohn erwarten ohne Einsatz. Du kannst nicht mit dem Du beschenkt werden, wenn Du Dich selbst nicht einbringst, antwortend, verantwortend. Das Leben öffnet sich Dir, wenn Du Dich ihm öffnest. Es erlaubt und verzeiht, aber es fordert Dich heraus. Immer zu Dir selbst, im Antlitz seiend, wahrend, werdend. Du bist gemeint, und nicht das Blinken und Funkeln des Besitzes, den Du anhäufst. Es lässt Dich sein und nicht besitzen. Wenn Du die Hand öffnen und loslassen kannst, dann kannst Du das Geschenk, das Dir das Leben bereitet, annehmen.

Es sendet Dich aus. Es sagt nicht, es ist leicht. Es sagt, es ist ein harter Weg, der Prüfung, der Reife, der Erziehung. Du wirst alles hinter Dir lassen, was Dir doch nur Ballast ist, und wirst in die Öffnung gehen. Es ist nicht leicht loszulassen, doch wenn es gelingt, dann wird es Dir Stärkung geben für diesen Weg. Es schickt ihn Dich nicht, weil es am Ende einen Preis zu gewinnen gibt, weil es Dich für die Strapazen belohnt, sondern weil es notwendig ist um Deinetwillen. Der Durst bringt es, dass das Wasser süß schmeckt und auch für die Seele gut ist. Der Hunger bringt es, dass Dir die Speise wohlschmeckend ist und auch Dein Herz nährt. Du gehst letztendlich, getragen und gehalten, zu der Weite, die in Dir selbst wartet entdeckt zu werden. Lass es zu, lass Dich ein, auf den Weg, der zu gehen ist, und Du wirst versorgt sein, mit dem, dessen Du wirklich bedarfst, und nicht mit schnödem Beiwerk, das Dich doch nur belastet, Deine Seele einengt und Dir den Atem nimmt, das Dich einsperrt und Deinen Blick verengt. Du bist nicht Du, wenn Du Dich nicht rufen lässt. Du kannst nicht zu Dir selbst gelangen, wenn Du nicht ausgehst. Vorgefasstes, Fertiges, es ist nicht für Dich, sondern gegen Dich. Wie sollst Du wachsen, wenn alles fertig und geschehen ist? Wie sollst Du lernen, wenn Du alles fertig vorgesetzt bekommst und auf nichts mehr neugierig sein kannst? Wie sollst Du Dich zuwenden, wenn Du meinst alles schon zu kennen? Die Müdigkeit hüllt Dich ein, der Schlaf befreit Dich, und wenn Du erwachst, dann ist Dir ein Mahl bereitet, dass Dir die Kraft schenkt, für die Zeit, in der Du den Weg gehst, vierzig Tage und Nächte. Das Wasser, das für die Seele gut ist, und die Nahrung, die Dein Herz nährt, dies ist Dir bereitet, am Anfang des Weges, und es wird Dich nähren bis zu dessen Ende, da Dich der Anruf erreichen kann, da Du dahin gefunden hast, dass Dich der Anruf zu erreichen vermag, da nicht nur Deine Augen und Ohren, sondern auch Dein Herz und Deine Seele geöffnet sind, da Du nicht nur mit dem Mund sprechend antwortest auf den Anruf, sondern mit Deinem ganzen Sein, und die Antwort ist die eine, die sich mit dem ganzen Wesen spricht, am Ende des Weges, der Prüfung, der Reife, der Erziehung, das sich spricht, als wäre es das erste Wort und das allumfassende, das Du, das sich antwortend und verantwortend Dir anvertraut.


[1] 1. Kön. 19,8. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.

Keine Kommentare: