Den Weg zu gehen
Er erhob sich, aß und
trank, dann ging er in der Kraft dieser Atzung vierzig Tage und vierzig Nächte
bis zum Berg Gottes Choreb.[1]
So viele Stimmen umschwirren uns. Alle wollen sie uns den
Weg weisen. Sie flüstern, versuchen, beeinflussen, verssprechen und bezirzen.
Ganz leicht soll es sein, meinen sie. Es bedarf nicht viel, nicht viel Deiner
Zeit und nicht viel Einsatz. Das größte Ziel ist ohne Mühe zu erreichen. Das
hörst Du gerne. Du lächelst, denn Du denkst, wenn das stimmt, dann brauche ich
doch nicht viel zu tun, es fällt mir doch in den Schoß wird mir versprochen.
Reichtümer und Glück, das wird Dir zukommen. Und Du lässt Dich verführen, doch
es ist niemals so. Du hast Dich verführen und blenden lassen. Du kannst nicht
Lohn erwarten ohne Einsatz. Du kannst nicht mit dem Du beschenkt werden, wenn
Du Dich selbst nicht einbringst, antwortend, verantwortend. Das Leben öffnet
sich Dir, wenn Du Dich ihm öffnest. Es erlaubt und verzeiht, aber es fordert
Dich heraus. Immer zu Dir selbst, im Antlitz seiend, wahrend, werdend. Du bist
gemeint, und nicht das Blinken und Funkeln des Besitzes, den Du anhäufst. Es
lässt Dich sein und nicht besitzen. Wenn Du die Hand öffnen und loslassen
kannst, dann kannst Du das Geschenk, das Dir das Leben bereitet, annehmen.
Es sendet Dich aus. Es sagt nicht, es ist leicht. Es sagt,
es ist ein harter Weg, der Prüfung, der Reife, der Erziehung. Du wirst alles
hinter Dir lassen, was Dir doch nur Ballast ist, und wirst in die Öffnung
gehen. Es ist nicht leicht loszulassen, doch wenn es gelingt, dann wird es Dir
Stärkung geben für diesen Weg. Es schickt ihn Dich nicht, weil es am Ende einen
Preis zu gewinnen gibt, weil es Dich für die Strapazen belohnt, sondern weil es
notwendig ist um Deinetwillen. Der Durst bringt es, dass das Wasser süß
schmeckt und auch für die Seele gut ist. Der Hunger bringt es, dass Dir die
Speise wohlschmeckend ist und auch Dein Herz nährt. Du gehst letztendlich,
getragen und gehalten, zu der Weite, die in Dir selbst wartet entdeckt zu
werden. Lass es zu, lass Dich ein, auf den Weg, der zu gehen ist, und Du wirst
versorgt sein, mit dem, dessen Du wirklich bedarfst, und nicht mit schnödem
Beiwerk, das Dich doch nur belastet, Deine Seele einengt und Dir den Atem
nimmt, das Dich einsperrt und Deinen Blick verengt. Du bist nicht Du, wenn Du
Dich nicht rufen lässt. Du kannst nicht zu Dir selbst gelangen, wenn Du nicht
ausgehst. Vorgefasstes, Fertiges, es ist nicht für Dich, sondern gegen Dich.
Wie sollst Du wachsen, wenn alles fertig und geschehen ist? Wie sollst Du
lernen, wenn Du alles fertig vorgesetzt bekommst und auf nichts mehr neugierig
sein kannst? Wie sollst Du Dich zuwenden, wenn Du meinst alles schon zu kennen?
Die Müdigkeit hüllt Dich ein, der Schlaf befreit Dich, und wenn Du erwachst,
dann ist Dir ein Mahl bereitet, dass Dir die Kraft schenkt, für die Zeit, in
der Du den Weg gehst, vierzig Tage und Nächte. Das Wasser, das für die Seele
gut ist, und die Nahrung, die Dein Herz nährt, dies ist Dir bereitet, am Anfang
des Weges, und es wird Dich nähren bis zu dessen Ende, da Dich der Anruf
erreichen kann, da Du dahin gefunden hast, dass Dich der Anruf zu erreichen
vermag, da nicht nur Deine Augen und Ohren, sondern auch Dein Herz und Deine
Seele geöffnet sind, da Du nicht nur mit dem Mund sprechend antwortest auf den
Anruf, sondern mit Deinem ganzen Sein, und die Antwort ist die eine, die sich
mit dem ganzen Wesen spricht, am Ende des Weges, der Prüfung, der Reife, der
Erziehung, das sich spricht, als wäre es das erste Wort und das allumfassende,
das Du, das sich antwortend und verantwortend Dir anvertraut.
[1] 1. Kön. 19,8. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam
mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.
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