Was willst Du?
Dort kam er in die
Höhle, dort wollte er nächtigen, Er sprach zu ihm: Was willst Du hier,
Elijahu?[1]
Und der, der den Anruf sandte, von dem alles ausging, alles
Leben und Sein in Dir, der Dich herausholte aus dem Unverstand und der
Blindheit und der Namenlosigkeit und der Verlorenheit, der ist der Befreiende. Der
Angerufene ist der Herausgerufene, aus der Einheitlichkeit und der
Unbestimmbarkeit in die Namhaftigkeit. Er wird durch den Ruf in das Du zu sich
selbst gerufen. Der Weg zu mir geht immer über die Du-Werdung. Frei zu
antworten, setzt der Ruf selbst in die Freiheit. Es ist die Liebe des Rufenden,
die den Angerufenen freisetzt. Ich kann die Antwort verwehren. Und in der Unfreiheit
verbleiben. Doch wenn ich mich rufen lassen, wenn ich antwortend dem Ruf
entspreche, dann lasse ich mich in die Freiheit setzen, die nur die Liebe zu
eröffnen vermag. In diese Freiheit ergeht die Aufforderung. An Elijahu. An
Dich. An mich. In diese Freiheit wird ein Weg eröffnet und geebnet. Für
Elijahu. Für Dich. Für mich. Und dennoch steht es in der Freiheit des
Gerufenen, ob er den Weg gehen will. Freiheit des Elijahu. Deine Freiheit.
Meine Freiheit. Doch wenn Du ihn gehst, den Weg, dann erreichst Du ein Ziel,
ein hohes, hehres Ziel. Wenn Du den suchst, der Dich rief, aus der
Namenlosigkeit zu Dir selbst, dann erreichst Du ihn, dann lässt er sich
erreichen. Und wenn Du ihn erreichst, dann fragt er was Du willst. Was willst
Du hier? Was erwartest Du Dir? Was ist Dein Begehr? Warum hast Du den Weg auf
Dich genommen, vierzig Tage und vierzig Nächte, in denen Du reiftest, Dich
prüftest und erzogst? Warum bist Du hier? Und Du antwortest, aus der Freiheit
dessen, der die Antwort wählen kann. Immer noch steht es Dir frei Dich
abzuwenden, zurückzukehren. Es gibt keinen Punkt in der Du-Werdung, der die
Umwendung verschlösse. Nur, wer Dich binden und fesseln und klein halten will,
verwehrt Dir einen anderen, Deinen selbst gewählten Weg zu gehen, doch er ist
nicht liebend, sondern besitzend und vereinnahmend. Wie gerne lassen wir uns
besitzen und vereinnahmen und in die Unfreiheit führen. Es lebt sich doch
manchmal viel leichter. Wenn es entschieden ist, wenn das Denken nicht
notwendig ist, wenn es nicht an Dir liegt. Sicher, Du kannst nicht aus, aber es
wird Dir auch abgenommen, die Entscheidung und die Rechtfertigung, das Maß und
die Zugehörigkeit. Alles wird Dir genommen, und dafür erhältst Du eine vage
Sicherheit. Doch Du bist auch namenlos nicht gefeit vor dem Tod. Nein, gerade
als namenlos bist Du es, denn Du bist tot, lebendig tot. Unbestimmtheit.
Verworrenheit. Niemals zu Dir selbst gekommen. In der Masse verschwindend.
Eigentum neben all den anderen Dingen. Ohne Namen. Ohne Antlitz. Doch wenn Du,
in die Freiheit des Namens gerufen, antwortest, so erwählst Du die Freiheit,
den Weg zu gehen oder einen anderen, anzukommen oder weiterzugehen, Dich weiter
ansprechen zu lassen oder Dich zu verschließen, in jedem einzelnen Moment
Deines für Dich gewonnenen Da-Seins. Und Du wirst gefragt, nach Deinem Begehr,
nach Deinem Antrieb, nach Deiner Motivation. Und der Fragende fragt, weil er
die Antwort nicht kennt. In der Unfreiheit der Namenlosigkeit bedarf es keiner
Fragen, denn es gibt keine Antworten, nur die eine, die Dir darin vorgegeben
ist. Du wirst nicht den Weg gewiesen, weil es nur den einen gibt, den, der Dir
vorgegeben ist. Wie eine Maschine. Wie ein seelenloses Ding. Keine
Entscheidung. Keine Fehler. Deine Entscheidung. Deine Möglichkeiten. Du wendest
Dich dem Fragenden zu, und gewahrst, dass er Deine Antwort erwartet, die er
nicht kennt und doch zu wissen verlangt. „Was willst Du?“, fragt er Elijahu.
„Was willst Du?“, fragt er Dich. „Was willst Du?“, fragt er mich. Antwortend
wendet sich Elijahu zu. Du. Ich.
[1] 1. Kön. 19,9. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam
mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.
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