1103 FastEndZeit (Teil 22):


Erdgewalten


Er sprach: Heraus, steh hin auf den Berg vor Mein Antlitz! Da vorüberfahrend Er: ein Sturmbraus, groß und heftig, Berge spellend, Felsen malmend, her vor Seinem Antlitz: Er im Sturme nicht – und nach dem Sturm ein Beben: Er im Beben nicht – und nach dem Beben ein Feuer: Er im Feuer nicht -, [1]

Du warst dem Ruf gefolgt, dessen, der Dich herausrief aus der Namenlosigkeit in Dein Selbst-Sein, warst den Weg gegangen, vierzig Tage und vierzig Nächte, durch die Wüste der Entbehrungen, hin, zu dem Ziel, das er Dir wies, zu erreichen, zu ersteigen. Und nun, nun sollst Du ihm gegenüber treten. In einer Höhle hast Du Dich verborgen. Du hast Schutz gesucht, dessen Du nicht bedurftest, da Du doch immer schon ummantelt warst, seit Du Dich rufen ließt. Dennoch suchst Du Schutz. Die Erde trägt Dich, aber sie trägt auch den Sturm und das Feuer und das Beben. Du sitzt in Deiner Höhle und erwartest. Du harrest dessen, was da auf Dich zukommen mag. Wie wird sie sich zeigen, die Stimme, die das Leben schenkt, das atmende, freie, liebende Leben, das Wort selbst? Du sitzt in der Ecke Deiner Höhle, zusammengekauert, die Beine fest an Dich gezogen und von Deinen Armen umfasst. Du bist ein kleines Päckchen in der Ecke der Höhle, als müsstest Du Dich vergewissern, dass Du da bist, dass Du Dich noch spürst. Selbstgenügsamkeit, und doch willst Du Dich frei lassen. Freiheit ist das Geschenk. Freiheit die Zusicherung. Du willst es gesagt bekommen. Du weißt es nicht. Die Unwissenheit verdrängt die Zuversicht, noch. Doch Du bist gewillt. Du sitzt in der Ecke der Höhle und wartest. Du erwartest. Du wurdest zuerst erwartest. Du antwortest auch dieser Erwartung. Und als Du aufgefordert wirst vor die Höhle zu treten, da folgst Du dieser Aufforderung. Dicht an den Felsen gedrängt, ausharrend, erwartend. Und da musst Du es erleben, dass ein Sturm losbraust, ein solch heftiger Sturm, der die Felsen zermalmt, ja gar die Berge spaltet. Und Du, kleiner Mensch, bist mitten drinnen und kannst nichts ausrichten. Sollte es das sein, das Du, das Dich rief? Ist es das, das die Zerstörung berief und Dich in den Untergang zu stürzen vermag? Ist es Dein Untergang? Doch es ist nichts weiter als die Erde, die den Sturm ebenso beherbergt wie das laue Lüftchen. Es ist die Erde, die es geschehen lässt und nicht der Rufende. Der Sturm ebbt ab, und Du bist immer noch, unversehrt, an den Felsen gepresst. Doch dann musst Du erleben, dass sich die Erde unter Dir aufbäumt, Dich schüttelt und Dich noch näher an den Felsen presst. Sollte dies der sein, der Dich rief? Sollte es das sein, das alles durcheinanderwirbelt, und die Bäume entwurzelt und Dich verschlingen könnte? Sollte dies Dein Untergang sein? Doch nein, auch das Beben ebbt ab. Es ist von der Erde getragen, das Beben, wie die Ruhe, die nun einkehrt. Doch wo ist der, der Dich rief aus der Namenlosigkeit vor sein Antlitz? Und da erhebt sich ein Feuer, das die Bäume und die Pflanzen und die Tiere verzehrt und alles, was es zu erhaschen vermag. Und Du presst Dich an den Felsen, und hoffst, dass es vorüberzieht. Doch sollte dies nun der sein, der Dich rief, aus der Namenlosigkeit und vor sein Antlitz? Sollte es der sein, der Dich rief und nun dem Untergang weiht? Doch nein, auch das Feuer ist nur der Erde geschuldet. Das Feuer und der Regen. Es ist der Lauf des Lebens, das erblüht und wieder vergeht. Das sanft entschlummert oder verschlungen wird. Es rührt die Erde nicht, auch wenn es Dich rührt, wenn das Leben entschwindet. Aber es rührt Dich auch, wenn das Leben erwacht. Du lässt Dich rühren, weil Du Dich berührbar machtest, mit dem Tag des Anrufes und der Folge in die Namhaftigkeit. Nicht in den Naturgewalten erscheint das Antlitz dessen, der Dich rief. Doch worin zeigt es sich dann?


[1] 1. Kön. 19,11,12a. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.

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