1603 FastEndZeit (Teil 27):


Ich nehme es auf mich


Seine Rede geschah zu Jona ein zweites Mal, es sprach: Steh auf, wandre nach Ninive, der großen Stadt, und rufe den Ruf ihr zu, den ich zu dir rede. Jona stand auf, er wanderte nach Ninive, Seiner Rede gemäß.[1]

Ein zweites Mal erging die Rede an mich. Ein zweites Mal gabst Du mir den Auftrag, und wenn ich mich recht entsann, mit eben denselben Worten wie beim ersten Mal. Ich war geflohen, beim ersten Mal, als ich diese Worte vernahm. Doch wovor war ich wirklich geflohen? War es der Auftrag gewesen? Warst Du es gewesen? Es warst weder Du noch der Auftrag, sondern ich war vor einer Entscheidung geflohen, die ich mir nicht zutraute. Du hattest mir das Zutrauen gegeben, in dem Moment, in dem Du die Worte sprachst, in dem Moment, in dem Du Dich mir zuwandtest, vom allerersten Augenblick an, warst Du Zutrauen und Vertrauen zu mir. Mit aller Schlichtheit. Mit aller Selbstverständlichkeit. Du hattest es zu erkennen gegeben, jeden Moment, den Du an meiner Seite warst, und Du warst es, jeden Moment. Nur ich war entweder zu blind es zu bemerken, oder es war mir einfach zu sehr zur Gewohnheit geworden. Ich wusste es weder zu schätzen noch diesem Wert zu geben. Ich war zu sehr vertieft in mich selbst und mein eigenes kleines Ich. Der Blick, der nach außen gehen sollte, ging stattdessen nach innen, immer zu mir. Ich war blind, weil ich mir selbst die Augen zuhielt. Ich war taub, weil ich mir selbst die Ohren verstopfte. Ich war stumm, weil ich selbst die Lippen zusammenbiss. Kein Laut konnte entkommen. Kein Laut mein Ohr erreichen. Kein Lichtstrahl mein Auge erreichen. Kein Laut meine Lippen verließ. Einzementiert in grotesken Narzissmus, und in den Schmerz des epochalen Ich-Verliebtseins. Träumerisch nahm ich mich als die Welt, die so endend war wie die Einfassung eines Regentropfens. Wollte ich mich aus dem Wasser, das mich trug erheben, abkapseln, einlarven, ohne, dass aus mir je etwas wurde, ganz ohne Entwicklung. Du ließt es und mich zu. Du hattest Geduld. Mit mir und meinem eigenen Erkennen. Und so lief ich davon. Letztlich vor der Gefahr der Veränderung, der Herausforderung zum Leben, wie so oft, einfach nur vor der Herausforderung zu sein. Doch als ich ausgespien ward aus dem Wal, als Du mich ansprachst. Immer wieder hättest Du es versucht, denn Du meintest mich. Da wusste ich, dass ich den Weg gehen konnte, wusste es, weil ich ihn nicht allein ging. Du warst bei mir, als ich floh, als ich das Schiff bei herrlichsten Sonnenschein betrat, als der Sturm brauste und als ich im Magen das Wals geborgen war, immer warst Du bei mir, und als meine Kleider in der Sonne trockneten und meine wirren, durch den Sturm durcheinandergepeitschten Gedanken sich legten, da wusste ich es. Ich sah. Ich hörte. Ich sprach. Ich sah, dass Du um mich warst, schützend, haltend, bergend. Ich hörte, dass Deine Worte ein Zutrauen waren, zu gehen und zu vollbringen. Ich sprach, dass meine Antwort nun Zuwendung sein sollte, zu Dir, Deiner Namensgebung und zu Deinem Auftrag, und so trat ich den Weg an, den ursprünglichen. Ich hatte keinen Grund mehr zu fliehen, denn Du warst bei mir. Ich hatte keinen Grund mehr mich zu fürchten vor dem, was da kommen oder geschehen mochte, denn Du warst bei mir. Du würdest mir helfen die rechten Worte zu finden. Du würdest mich unterstützen meine Botschaft zu überbringen. Du würdest mir raten, wenn ich nicht weiter wusste. Du warst bei mir.



[1] Jona 3,1-3a. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.

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