Ich nehme es auf mich
Seine Rede geschah zu Jona ein zweites
Mal, es sprach: Steh auf, wandre nach Ninive, der großen Stadt, und rufe den
Ruf ihr zu, den ich zu dir rede. Jona stand auf, er wanderte nach Ninive, Seiner Rede gemäß.[1]
Ein zweites Mal erging die Rede an mich. Ein zweites Mal
gabst Du mir den Auftrag, und wenn ich mich recht entsann, mit eben denselben
Worten wie beim ersten Mal. Ich war geflohen, beim ersten Mal, als ich diese
Worte vernahm. Doch wovor war ich wirklich geflohen? War es der Auftrag
gewesen? Warst Du es gewesen? Es warst weder Du noch der Auftrag, sondern ich
war vor einer Entscheidung geflohen, die ich mir nicht zutraute. Du hattest mir
das Zutrauen gegeben, in dem Moment, in dem Du die Worte sprachst, in dem
Moment, in dem Du Dich mir zuwandtest, vom allerersten Augenblick an, warst Du
Zutrauen und Vertrauen zu mir. Mit aller Schlichtheit. Mit aller
Selbstverständlichkeit. Du hattest es zu erkennen gegeben, jeden Moment, den Du
an meiner Seite warst, und Du warst es, jeden Moment. Nur ich war entweder zu
blind es zu bemerken, oder es war mir einfach zu sehr zur Gewohnheit geworden.
Ich wusste es weder zu schätzen noch diesem Wert zu geben. Ich war zu sehr
vertieft in mich selbst und mein eigenes kleines Ich. Der Blick, der nach außen
gehen sollte, ging stattdessen nach innen, immer zu mir. Ich war blind, weil
ich mir selbst die Augen zuhielt. Ich war taub, weil ich mir selbst die Ohren
verstopfte. Ich war stumm, weil ich selbst die Lippen zusammenbiss. Kein Laut
konnte entkommen. Kein Laut mein Ohr erreichen. Kein Lichtstrahl mein Auge
erreichen. Kein Laut meine Lippen verließ. Einzementiert in grotesken
Narzissmus, und in den Schmerz des epochalen Ich-Verliebtseins. Träumerisch
nahm ich mich als die Welt, die so endend war wie die Einfassung eines
Regentropfens. Wollte ich mich aus dem Wasser, das mich trug erheben,
abkapseln, einlarven, ohne, dass aus mir je etwas wurde, ganz ohne Entwicklung.
Du ließt es und mich zu. Du hattest Geduld. Mit mir und meinem eigenen
Erkennen. Und so lief ich davon. Letztlich vor der Gefahr der Veränderung, der
Herausforderung zum Leben, wie so oft, einfach nur vor der Herausforderung zu
sein. Doch als ich ausgespien ward aus dem Wal, als Du mich ansprachst. Immer
wieder hättest Du es versucht, denn Du meintest mich. Da wusste ich, dass ich
den Weg gehen konnte, wusste es, weil ich ihn nicht allein ging. Du warst bei
mir, als ich floh, als ich das Schiff bei herrlichsten Sonnenschein betrat, als
der Sturm brauste und als ich im Magen das Wals geborgen war, immer warst Du
bei mir, und als meine Kleider in der Sonne trockneten und meine wirren, durch
den Sturm durcheinandergepeitschten Gedanken sich legten, da wusste ich es. Ich
sah. Ich hörte. Ich sprach. Ich sah, dass Du um mich warst, schützend, haltend,
bergend. Ich hörte, dass Deine Worte ein Zutrauen waren, zu gehen und zu vollbringen.
Ich sprach, dass meine Antwort nun Zuwendung sein sollte, zu Dir, Deiner
Namensgebung und zu Deinem Auftrag, und so trat ich den Weg an, den
ursprünglichen. Ich hatte keinen Grund mehr zu fliehen, denn Du warst bei mir.
Ich hatte keinen Grund mehr mich zu fürchten vor dem, was da kommen oder
geschehen mochte, denn Du warst bei mir. Du würdest mir helfen die rechten
Worte zu finden. Du würdest mich unterstützen meine Botschaft zu überbringen.
Du würdest mir raten, wenn ich nicht weiter wusste. Du warst bei mir.
[1] Jona 3,1-3a. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam
mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.
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