1703 FastEndZeit (Teil 28):


Die Botschaft


Jona begann in die Stadt hineinzugehen, eine Tageswanderung, und rief, er sprach: Noch vierzig Tage, und Ninive wird umgestürzt![1]

Ich erreichte Ninive, die Stadt, in der sich das Böse niedergelassen hatte. Die Menschen begingen jede Art von Schandtaten. Sie hatten auf den Ruf vergessen, der sie in die Einzigartigkeit des Menschseins herausgerufen hatte. Und dieser Ruf ist immer auch Auftrag in sich. So wie wir gerufen sind selbst zu sein, so ist es sogleich Beauftragung Dich in Deinem Selbstsein anzunehmen und zu befördern. Gabe und Auftrag, Auftrag und Gabe. Zusage und Verpflichtung, Verpflichtung und Zusage. Und ganz gleich welches Verbrechen es ist, letztlich erwächst alles Böse der einen Wurzel, dem Verlust der Namhaftigkeit und des Vermögens Du zu sagen, mit der Gesamtpersönlichkeit. Das Böse erwächst der Abwendung von Dir, der Verdinglichung der anderen Person und die Umwendung vom personalen Miteinander zu einer Beziehung zwischen Nutzer und Benutzen. Dort, wo ich Dich als Du selbst, in Deinem Eigen-sein aus dem Blick verliere, dort beginnt das Böse, das die Abspaltung forciert und die Gräben öffnet. Person wird zu Ding und das Ding, das wird nach seinem Gebrauchswert gewichtet, so wie eine Maschine oder ein Stuhl. Nichts mehr bist Du dann. Ein Stuhl. Mir zum Nutzen. Und wenn ich Dich niederdrücke, dann indem ich Dich benutze wie einen Stuhl. Und so kam ich nach Ninive, den Menschen die Augen zu öffnen, denn was lange währt wird zur Gewohnheit. Trägheit. Vergessen, und der Blick, der das Gestern nicht kennt, ist blind für die Möglichkeiten des Morgens, so dass er sich stumpf und abgenutzt ewig im Gleich suhlt und vegetiert. Es bedarf der Stimme von außen, der Erinnerung an jene Zeiten, dass die Menschen aufschauen und nachdenken über das Elend des selbstverschuldeten Verlassen-seins, das Elend des vergessenen Mensch-seins. Doch ich kann nicht mehr als die Botschaft bringen. Wird sie ankommen? Wird es jemanden geben, der bereit ist die Ohren zu öffnen, sich abzuwenden vom derzeitigen Tun in eine neue Möglichkeit, in ein neues, wiedererstandenes Miteinander? Würde meine Mission Erfolg haben? Der Ausgang war offen, doch ich hatte mich anvertraut. Ich sah die Menschen, nicht in ihrer Bosheit, sondern in ihrer Verlorenheit, sah sie in ihrer Einsamkeit. Nicht zurechtweisend und belehrend war ich, sondern zugewandt und ansprechend. Ich zeigte ihnen die Möglichkeiten und den Weg des Lebens, und sie bekamen die Zeit, Zeit zur Reife, zur Prüfung, zur Erziehung, bekamen Zeit sich wieder heranzutasten an das Lebendige. Ich war nicht der mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern der, der die Hand reichte, und mitnahm. Ich überfrachtete sie nicht, sondern senkte meine Botschaft in ihr Herz wie einen Samen in die Erde, dass sie Wurzeln schlagen und wachsen konnten. Die Umkehr war eine je persönliche Entscheidung, nicht vorgegeben, sondern als Einladung. Und in den vierzig Tagen war es, dass die Wurzeln sich verankerten und zarte Pflanze der Erneuerung sich erheben und entwickeln konnte. Vierzig Tage zu wachsen und zu werden, zu erstarken und zu erblühen, und sie öffneten ihr Herz Annahme zu werden. öffneten ihre Hände, geleitend zu wirken, öffneten ihre Ohren die Worte des anderen zu vernehmen und öffneten ihre Augen den anderen als ihn selbst wahrzunehmen. Und nach vierzig Tagen ward eine Wandlung, und das Böse, die Trennung vergessen, ward ein neues Miteinander, ein neues Verstehen und Annehmen. Vierzig Tage der Wandlung, so dass es keinen Grund mehr gab die Stadt zu zerstören, und der, der uns in die Lebendigkeit des Lebens rief, sah es mit Wohlwollen. Betrübt verließ ich die Stadt. Es gab für mich nichts mehr zu tun. Ich hatte es angefangen, und doch ward ich der Ausgeschlossene. Oder hatte ich mich ausgeschlossen?


[1] Jona 3,4. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.

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