Der Schleier ist zerrissen
Aber wenn ich sie
vollbringe, dann glaubt wenigstens den Werken, wenn ihr mir nicht glaubt. Dann
werdet ihr erkennen und einsehen, daß in mir der Vater ist und ich im Vater
bin. Wieder wollten sie ihn festnehmen; er aber entzog sich ihrem Zugriff.[1]
Wie sollten sie auch jemandem beikommen, der nicht mit
Gewalt und roher Stärke einbrach, sondern mit Sanftmut und Güte? Natürlich war
da auch eine Wut, eine Wut gegen die Schändung des Tempels und die
Unterdrückung freier Menschen, die Er beim Namen gerufen hatte, und die so
schmählich darauf vergessen hatten. Seit Adam und Eva, war es so, und durch alle
Wirrnisse der Geschichte hindurch, nahm Er es immer wieder auf sich, die
Menschen, jeden Einzelnen anzusprechen, beim Namen zu nennen und damit in die
Freiheit des Eigen-Seins zu geleiten. Immer wieder aufs Neue hat Er es gewagt.
Immer wieder aufs Neue nahmen die Menschen es an, und vergaßen es wieder,
rutschten zurück in die Bedeutungslosigkeit. Immer wieder erkor er Menschen die
anderen daran zu erinnern, wohin sie sich wenden konnten, dass die Lebendigkeit
Wahrheit werden würde, und ebenso oft haben sie es verraten, sich selbst
verraten. An eine Bequemlichkeit. An ihre Unterwürfigkeit. An eine fragwürdige
Autorität. Immer wieder begann es von vorne. Immer und immer und immer wieder.
Seit der Mensch ward. Er gab nicht auf, und zuletzt, da sandte Er Ihn, das Wort
selbst, das Fleisch geworden war, unter uns weilte, Fleischgewordene
Namensnennung, Unwiderruflichkeit des Versprochenen und in uns Wirkenden,
Unverweigerbarkeit des Lebendigen. Atem, der uns durchfließt, Blut, das uns mit
Kraft versorgt, ewig unangetastet von denen, die es für sich beanspruchen und
verbiegen wollten. Von Anfang an ward das Leben, ja noch vor dem Anfang war die
reichste Quelle des Lebendigen. Und mit dem Lebendigen, nach dem Anfang, kam
der Widersacher, und er fand immer wieder fruchtbaren Boden. Und der
Widersacher war der, der die Begegnung unterband, der den Namen vergessen ließ,
der die Menschen voneinander trennte, aufeinander hetzte. Aber auch Er wusste,
dass der Mensch von Kleinglauben beseelt war, so dass Er all die Werke wirkte.
Aber wer blind ist, wer nicht sehen will, den kann man nicht einmal damit
überzeugen. Sie werden in ihrer Blindheit verbleiben, unzugänglich bleiben.
Doch nicht nur, dass Er Wunder tut, Er behauptet auch noch, dass Er sie tut,
weil Er im Vater ist und der Vater in Ihm. Das ist es, was sie hören. Nichts
anderes können sie daraus verstehen, als dass seine Rede gotteslästerlich ist,
dass Er sich etwas anmaßt, was Er nicht sein kann. Wie kleinkariert und
begrenzt ihr Denken doch ist. Er wirkt und spricht – und doch genügte Seine
Person, damit man die Wahrheit erkennt. Ein Blick in die Augen. Ein offenes Ohr
für seine Worte. Das würde genügen, damit man weiß wer Er ist, doch so einfach
es klingt, so schwer scheint es auszuführen zu sein, ist man erst einmal
einzementiert in dem, was man für seine Wahrheit hält. Nichts wird sie je aus
ihrer Bequemlichkeit herausreißen können. Aber sie haben Angst, um ihre
Pfründe, um ihre Privilegien – schlagt ihn tot, liefert ihn der Gerichtsbarkeit
aus, denn Er ist eine Bedrohung für uns. Wir wollen unseren Status erhalten,
weiterhin die Menschen knechten und unterdrücken, doch Er steht uns im Weg. Er
zeigt den Menschen, dass sie in Knechtschaft und Unterdrückung leben. Musste
das denn sein? Sie hätten es nicht gemerkt. Sie hätten sich weiterhin ausnehmen
und beherrschen lassen. So einer darf nicht leben. Er zerstört die gottgewollte
Ordnung, die nur sie verstehen. Doch Er entkam, und ich ging mit Ihm.
[1] Joh. 10,38f. Aus: Die Bibel in der
Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Hg. von Interdiözesanen
Katechetischen Fonds. Verlag Österreichisches Katholisches Bibelwerk Korneuburg
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