0104 EndZeit (Teil 3):


In der Abgeschiedenheit


Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater verherrliche deinen Namen! Da kam die Stimme vom Himmel: Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen.[1]

Der Jubel war verebbt. Zertreten lagen die Palmzweige am Boden, die sie auf die Straßen ausgebreitet hatten, den König zu empfangen. Die Menge hatte sich zerstreut. Sie murrte. Es tat sich nichts. So viel hatten sie investiert, ihren Jubel und die Palmzweige, und nichts war geschehen. Wie immer waren sie in ihre Häuser zurückgekehrt. Verstohlen blieb ich, immer am Rande. Jesus zog sich zurück. Sein Weg war vorbestimmt, durch das Handeln der Menschen, vorbestimmt durch die Verzweiflung, die Rückkehr in die Namenlosigkeit, die immer mehr um sich griff. Es gab nichts mehr zu beschönigen. Er war am Ende eines Weges angekommen, da sich das Kreuz schon erhob, die Welt überschattend. Er zog sich zurück, denn Ihm ward schwer ums Herz. Das Weggehen bedrückte Ihn. Sollte Er die verlassen müssen, wirklich verlassen müssen, die sich Ihm voller Hoffnung und Zuversicht zugewandt hatten. Seine Seele war erschüttert, weil Sein Verlassen ihre Hoffnung zerstören würde, weil Er ihre Hilflosigkeit benennen konnte. So sehr klammerten sie sich an Seine Person. So wenig noch hatten sie begriffen. Wie die Schafe liefen sie hinter Ihm her und fragten Ihn bei allem um Seine Meinung, um Seinen Rat. Wie sollte Er da gehen können? Verlassen würden sie sein, wie die Kinder, orientierungslos inmitten einer Welt ohne Namen. Sie hatten noch nicht begriffen, dass die Kraft in ihnen war, dass sie sie nur entfalten mussten, dass sie stärker waren, als sie sich selbst zutrauten, doch es war gut sich unter Seinen Schutz und Schirm begeben zu können, einfach sich führen zu lassen. Jetzt würden sie selbst zu Führern werden müssen, die Seine Botschaft weitertrugen. Dabei war sie so einfach. Schenkt dem anderen einen Namen, nehmt ihn an in seiner Namhaftigkeit, überlasst ihn nicht der Namenlosigkeit, der Verlorenheit! Nichts weiter, und doch das Umfassendste an Zuwendung, das der Mensch vermag. Er wusste, es gab keine Rettung, nicht für Ihn, doch wäre es Rettung gewesen, einfach weiter zu leben, sie weiter zu beschützen, statt sie in die Wirklichkeit des Eigenseins hinauszustoßen? Wäre  es denn Hilfe gewesen, wenn Er bliebe? Er hatte seine Aufgabe zu erfüllen. Sein  Weggang wäre Seine tiefste Hinwendung, und doch war Er vom Schmerz zerrissen. Die Angst durchfuhr Ihn, aber vor allem war Er mit seinem Wissen allein. Niemand konnte Ihn verstehen. Noch waren sie nicht so weit. Noch konnten sie es nicht fassen, nicht begreifen, doch Er musste gehen um es ihnen begreiflich werden zu lassen. Nur für eine kurze Frist war Er ihnen gegeben. Diese war nun verstrichen. Er hatte seine Aufgabe hier erfüllt, hatte es auf sich genommen. Für Ihn hieß es Heimkehr, doch für sie Verlust, die noch immer arglos waren gegenüber der Unausweichlichkeit. Es war nichts zu ändern, nichts zu beschönigen. Aber es würde auch am Tag danach die Sonne wieder aufgehen, die Menschen würden sich genauso von ihrem Lager erheben und ihrem Tagwerk nachgehen, wie immer, nur einige von ihnen würden verstehen, und dieses Verstehen würden sie weitertragen. Ihre Rettung war Sein Untergang in dieser Welt. Würde Er aus dieser Stunde gerettet, so würden sie nicht gerettet werden. Und ich stand am Rande, sah Seine Erschütterung, aber auch Seinen Willen zur Hinwendung zum anderen, die durch nichts erschüttert werden konnte. Er hatte Angst und er erlebte Verzweiflung, aber an Seinem Entschluss konnte dies nichts ändern. Wenige Stunden noch, dann würde ich Ihn nicht mehr sehen, nicht einmal mehr vom Rande.


[1] Joh. 12,27f. Aus: Die Bibel in der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Hg. von Interdiözesanen Katechetischen Fonds. Verlag Österreichisches Katholisches Bibelwerk Korneuburg

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