In der Abgeschiedenheit
Jetzt ist meine Seele
erschüttert. Was soll ich sagen: Vater rette mich aus dieser Stunde? Aber
deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater verherrliche deinen Namen! Da
kam die Stimme vom Himmel: Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder
verherrlichen.[1]
Der Jubel war verebbt. Zertreten lagen die Palmzweige am
Boden, die sie auf die Straßen ausgebreitet hatten, den König zu empfangen. Die
Menge hatte sich zerstreut. Sie murrte. Es tat sich nichts. So viel hatten sie
investiert, ihren Jubel und die Palmzweige, und nichts war geschehen. Wie immer
waren sie in ihre Häuser zurückgekehrt. Verstohlen blieb ich, immer am Rande.
Jesus zog sich zurück. Sein Weg war vorbestimmt, durch das Handeln der
Menschen, vorbestimmt durch die Verzweiflung, die Rückkehr in die
Namenlosigkeit, die immer mehr um sich griff. Es gab nichts mehr zu
beschönigen. Er war am Ende eines Weges angekommen, da sich das Kreuz schon
erhob, die Welt überschattend. Er zog sich zurück, denn Ihm ward schwer ums
Herz. Das Weggehen bedrückte Ihn. Sollte Er die verlassen müssen, wirklich
verlassen müssen, die sich Ihm voller Hoffnung und Zuversicht zugewandt hatten.
Seine Seele war erschüttert, weil Sein Verlassen ihre Hoffnung zerstören würde,
weil Er ihre Hilflosigkeit benennen konnte. So sehr klammerten sie sich an
Seine Person. So wenig noch hatten sie begriffen. Wie die Schafe liefen sie
hinter Ihm her und fragten Ihn bei allem um Seine Meinung, um Seinen Rat. Wie
sollte Er da gehen können? Verlassen würden sie sein, wie die Kinder,
orientierungslos inmitten einer Welt ohne Namen. Sie hatten noch nicht
begriffen, dass die Kraft in ihnen war, dass sie sie nur entfalten mussten,
dass sie stärker waren, als sie sich selbst zutrauten, doch es war gut sich
unter Seinen Schutz und Schirm begeben zu können, einfach sich führen zu
lassen. Jetzt würden sie selbst zu Führern werden müssen, die Seine Botschaft
weitertrugen. Dabei war sie so einfach. Schenkt dem anderen einen Namen, nehmt
ihn an in seiner Namhaftigkeit, überlasst ihn nicht der Namenlosigkeit, der
Verlorenheit! Nichts weiter, und doch das Umfassendste an Zuwendung, das der
Mensch vermag. Er wusste, es gab keine Rettung, nicht für Ihn, doch wäre es
Rettung gewesen, einfach weiter zu leben, sie weiter zu beschützen, statt sie
in die Wirklichkeit des Eigenseins hinauszustoßen? Wäre es denn Hilfe gewesen, wenn Er bliebe? Er
hatte seine Aufgabe zu erfüllen. Sein
Weggang wäre Seine tiefste Hinwendung, und doch war Er vom Schmerz
zerrissen. Die Angst durchfuhr Ihn, aber vor allem war Er mit seinem Wissen
allein. Niemand konnte Ihn verstehen. Noch waren sie nicht so weit. Noch
konnten sie es nicht fassen, nicht begreifen, doch Er musste gehen um es ihnen
begreiflich werden zu lassen. Nur für eine kurze Frist war Er ihnen gegeben.
Diese war nun verstrichen. Er hatte seine Aufgabe hier erfüllt, hatte es auf
sich genommen. Für Ihn hieß es Heimkehr, doch für sie Verlust, die noch immer arglos
waren gegenüber der Unausweichlichkeit. Es war nichts zu ändern, nichts zu
beschönigen. Aber es würde auch am Tag danach die Sonne wieder aufgehen, die
Menschen würden sich genauso von ihrem Lager erheben und ihrem Tagwerk
nachgehen, wie immer, nur einige von ihnen würden verstehen, und dieses
Verstehen würden sie weitertragen. Ihre Rettung war Sein Untergang in dieser
Welt. Würde Er aus dieser Stunde gerettet, so würden sie nicht gerettet werden.
Und ich stand am Rande, sah Seine Erschütterung, aber auch Seinen Willen zur
Hinwendung zum anderen, die durch nichts erschüttert werden konnte. Er hatte
Angst und er erlebte Verzweiflung, aber an Seinem Entschluss konnte dies nichts
ändern. Wenige Stunden noch, dann würde ich Ihn nicht mehr sehen, nicht einmal
mehr vom Rande.
[1] Joh. 12,27f. Aus: Die Bibel in der
Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Hg. von Interdiözesanen
Katechetischen Fonds. Verlag Österreichisches Katholisches Bibelwerk Korneuburg
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