Der letzte Kampf
Als Jesus von dem
Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und
gab seinen Geist auf.[1]
Hätte Er es nicht gewollt, so hätten sie Ihn nicht erreichen
können, doch Er lieferte sich dem aus, was sich die offizielle Gewalt nennt –
offizielle Gewalt, gesetzlich sanktioniert, eigentlich ein Widerspruch in sich.
Hatte der Staat nicht die Aufgabe die Menschen, die in ihm lebten zu schützen.
Möglich, dass er das auch tat, doch noch mehr schützte er sich selbst, und wenn
nur die Ahnung einer Bedrohung bestand, so wurde sie beseitigt, wenn es leicht
ging. Und was ist leichter als einen wehrlosen Menschen zu foltern, zu
verspotten, zu töten – noch mehr einen, der sich der Wehrlosigkeit verschrieben
hatte. Wortlos ließ Er es über sich ergehen, dass sie ihn verhöhnten, als
König, denn so wie sie Ihn in ihrer Gewalt hatten, so hatten sie keine Angst
mehr vor Ihm, und es waren so viele. Was sollte ein einzelner gegen so viele
ausrichten? Und Seine Anhänger? Die hatten sich versteckt, verkrochen in
irgendwelchen Löchern, zitternd und bebend vor Angst um ihr eigenes, kleines
Leben. Alle diese Männer, die so ein Geschrei gemacht hatten, sie hatten sich
verzogen wie die Memmen, wie kleine Mädchen. Bis auf den einen, der blieb, doch
der wollte mit Ihm nichts mehr zu tun haben. „Ich kenne Ihn nicht“, hatte er gesagt,
drei Mal, dabei hatte man ihn doch wiedererkannt, als den, der immer am
lautesten geschrien hatte, und wer blieb, als er das schwere Kreuz hinauftrug,
das Kreuz, das seinen Tod bedeutete, da waren auch nur die Frauen da. Sie
ließen nicht ab, hoffend bis zum letzten Moment, da der Atem wegblieb und das
Herz zu schlagen aufhörte. Er sah sie um sich, und Er wusste um ihre Hoffnung,
eine irrwitzige, kalte Hoffnung. Da war sie, Seine Mutter, die Ihn geboren
hatte und fast drei Jahrzehnte um sich haben durfte. „Sei zufrieden mit dem,
was Du hattest!“, wollte Er ihr sagen, denn noch konnte Er ihr nicht erklären,
dass Er wiederkäme. Da war Maria aus Magdala, die Ihn während Seiner
Wandertätigkeit so treu unterstützt hatte, die alles gab und auch sie wankte
und wich nicht. Da war kein Gedanke an ihr eigenes Leben, kein Gedanke sich
selbst zu schützen. Sie wollten bei Ihm bleiben so lange es ginge. Bis hinauf
zum Berg, auf dem das Kreuz aufgestellt wurde, an das er genagelt wurde, an
Händen und Füßen, und immer noch ward die Hoffnung, während die Menge wogte,
hin und zurück, wie Schilf im Wind. Sie hatte ihren Spaß mit Ihm. Letztendlich
war es doch nur die Erleichterung, dass es sie diesmal nicht getroffen hatte,
dass da ein anderer war, auf den sie herunter sehen konnten, der noch tiefer
stand als sie selbst. Es lenkte sie ab von ihrem eigenen Elend, weil ein
anderer noch elender war als sie selbst, doch war es letztlich nur Maskerade.
Und als Er Sein Haupt neigte, den letzten Atem verströmte, da war es, als würde
die Welt untergehen. Der Himmel verdunkelte sich, als wäre es plötzlich Nacht
geworden und der Vorhang im Tempel zerriss. Nichts war mehr wie gerade eben.
Und die, die am Kreuz ausharrten, hoffend bis zum letzten Moment, erstarrten in
ihrer ohnmächtigen Ausweglosigkeit. Es konnte nichts mehr getan werden. Alle
Hoffnung war mit Ihm gestorben, alle Möglichkeiten vertan und alle Zugänge
verschlossen. Während Er sich dem Tod anheimgab, willentlich, auch wenn die
Angst Ihn durchzuckte wie wilde Blitze, verharrten sie in Fassungslosigkeit,
hoffend bis zum letzten Moment, hoffend, wohl auch darüber hinaus, doch Sein
Weg war noch nicht zu Ende, doch das sahen sie nicht.
[1] Joh. 19,30. Aus: Die Bibel in der
Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Hg. von Interdiözesanen
Katechetischen Fonds. Verlag Österreichisches Katholisches Bibelwerk Korneuburg
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