0404 EndZeit (Teil 6):


Der Abstieg


Ist der Tod wirklich das Ende? Ist der Tod wirklich der Tiefpunkt? Ist der Tod wirklich der größte, abgründigste Schmerz?  Jesus hatte sich überantwortet, dem Tod, der Ihn übernahm, aus den Händen der Menschen, die Ihn so feige gemeuchelt hatten, doch es war nur eine Zwischenstation, denn der Tod war erst der Anfang. Vielleicht gönnte Er sich noch ein wenig Ruhe, bevor Er den eigentlichen Weg antrat, den in die tiefste, dunkelste Nacht. Alle Hoffnung fahren lassend, selbst die noch, der der Tod selbst nichts anhaben kann, alle Zuversicht verbannend, ließ Er sich fallen in den Abgrund. Nichts kann tiefer sein. Es ist ein Fallen ohne Ende, als wäre man im Fallen verharrt, ohne Möglichkeit zurückzukommen und ebenso anzukommen, umgeben von der absoluten Finsternis, die finsterer ist als die finsterste Nacht, finsterer noch als die Finsternis selbst. Sie ist nicht nur Abwesenheit vom Licht, sondern sogar noch Abwesenheit von der Finsternis. Das Dunkel ist nicht nur um Ihn herum, sondern sie dringt auch in Ihn ein, durch jede einzelne Pore dringt sie ein, in kleinen, feinen Rinnsalen, doch stetig weitertropfend, in Ihn hinein, stetig sich ausbreitend, sickernd, immer weiter sickernd,  denn sie kann nur in die eine Richtung, da sie alles um Ihn schon verschlungen hat, und sie will sich weiter ausbreiten, immer weiter und weiter, so dass nur mehr Er da ist, in den sie sich ausbreiten kann, und das tut sie, unaufhaltsam. Sie legt sich an, an der Haut, umwickelt die Sehnen und die Muskeln und die Knochen, verdrahtet sich mit den Nerven und füllt die Zwischenräume, bis nicht mehr das Kleinste übrigbleibt. Sie drängt sich immer weiter hinein, denn sie wird selbst gedrängt. Ihr einziges Streben ist alles in Besitz zu nehmen, was sich in ihre Nähe begibt. Inmitten dieser unausweichlichen Finsternis, in einem Zwischenzustand zwischen Fallen und Aufschlagen und Zerbersten. Könnte man doch nur aufschlagen und zerbersten, aber die Finsternis trägt, wie feinste, reißfeste Spinnweben, wo die einzelnen Stränge so eng geknüpft sind, das kein Durchdringen mehr möglich ist, ein Gehalten sein, das nicht warm und zärtlich, sondern tödlich und grausam ist, wie die Fänge eines Raubtieres, das seine Beute festhält, sie zu verschlingen. So hält Ihn die Finsternis, die nach und nach Seine Gedanken verödet, jeden einzelnen wegbrennt, als wäre er nie gewesen. Nicht nur ein Verlust des Lebens, ein Verlust der Lebendigkeit, ein Verlust des Selbst, klammheimlich. Träge und gemächlich wälzt sie sich durch Ihn hindurch, denn sie hat es nicht eilig, weil es kein Entrinnen gibt, weil die Finsternis niemanden mehr hergibt, dessen sie sich einmal bemächtigte. Und sie kriecht immer noch weiter, und wo kein Platz mehr ist, da drängt sie sich noch ein wenig mehr zusammen, verdichtet sich noch mehr bis zur höchsten Stufe, Verdichtung bis zum Maximum, ein schwarzes Loch, das verschlingt, das nichts mehr lässt von einem Gewesen-sein, und selbst dieses Gewesen-sein noch hinunterwürgt. Jede Erinnerung, jedes Bild vernichtend, und selbst der Gedanke an den Sonnenstrahl. Einstmals war er, doch er ist nicht einmal mehr als Bild vorhanden. Es wird unvorstellbar, undenkbar, dass es etwas anderes gäbe als Finsternis und Ausweglosigkeit, etwas anderes als Verlorenheit, und selbst diese Ausweglosigkeit und diese Verlorenheit wäre noch ein Trost, wenn sie wäre als eine Gegebenheit, denn die Ausweglosigkeit zu denken, setzt ein Wissen um einen Ausweg voraus, die Verlorenheit zu denken, setzt ein Wissen um ein Ankommen voraus, doch auch dieses Wissen ist verloren, verschlungen vom dem finsteren Loch, von der Schwärze, die sich selbst verschlingend, immer noch mehr verdichtet, und inmitten dieses fortdauernden Verschlingens hängt Er zwischen Fallen und Zerschellen, doch noch ist es nicht das Schlimmste, das Er erleben muss, noch geht es tiefer.

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