Ich wünsche Dir eine Begegnung
Inmitten des Frühlings, der Zeit des Aufblühens, fühlte ich
mich selbst Verblühen, der Zeit des Neubeginns, erahnte ich in mir ein Ende,
inmitten jener hoffnungsfrohen Zeit, waltete in mir die Trostlosigkeit.
Lähmende Verlassenheit und träge, schleimige Abwesenheit von Geräuschen, nicht
einmal Stille, herrschte in mir. Dort, wo es eben noch so reichlich sprudelte,
war die Quelle versiegt, und als ich vor die Türe trat, bloß um die Runde um
den See zu gehen, um etwas zu tun, als ich über die Wiese ging, ein bestimmtes
Ziel vor Augen, das Weggehen, und die Wiederkunft, da sah ich ihn. Er war
einfach da. Ich wusste nicht woher er kam, und auch nicht warum er von diesem
Ort, von dem er kam, weggegangen war um woanders hin zu gehen. Wahrscheinlich
wusste er es selbst nicht. Er hatte es einfach getan. Schritt für Schritt.
Innehaltend da und dort. Dann wieder weiter, Schritt für Schritt. Bis er hier
angekommen war. Ich blieb stehen und sah ihn an. Er tat es mir gleich. Still
standen wir. Die Blicke aufeinander gerichtet. Meiner enthielt Überraschung,
seiner nicht. Auch wenn er mich nicht erwartet hatte, erwartet haben konnte,
war er nicht überrascht. Er nahm es offenbar hin, dass ich da war, so wie die
Wiese und die sich zum Blühen anschickenden Blumen, und der See, und der Steg
und die Weide. Dann war er da gewesen, so wie ich ihn entdeckte. Und auch wenn
niemand wusste warum es geschehen war, es war gut, dass er da war. Ich konnte
es nicht wissen. Da gibt es nichts zu wissen, aber ich spürte es, denn was in
mir vertrocknet war, wurde begossen und das Leben regte sich wieder, wollte
vorpreschen. Schleusen öffneten sich und auch die Wahrnehmung. Seine warmen
braunen Augen waren auf mich gerichtet, still und heiter. So dass ich es wagte
auf ihn zuzugehen, langsam und bedächtig. Sein Blick blieb ruhig und beständig.
Kein Laut war zu hören. nur das Zwitschern der Vögel um uns herum. Aufrecht
stand er, den Kopf erhoben. Ich meinte auch so etwas wie Neugierde zu erkennen.
Dann stand ich vor ihm, so nahe, dass sich unsere Nasen fast berührten. Doch
der Blick blieb ruhig. Ob er meine Unsicherheit spürte? Ob er deshalb desto
zurückhaltender war, mich mit seiner Ruhe anstecken wollte? Vorsichtig streckte
ich die Hand aus und legte sie auf seinen Hals. Er ließ mich gewähren. Kein
Zucken, kein Zurückschrecken, kein Sträuben, nur Zulassen. Meine Hand ruhte auf
seinem Hals und ich spürte die Wärme seines Körpers und das struppige Fell. Ich
wurde mutiger, streichelte seinen Hals, seinen Rücken, und auch das ließ er zu,
einfach so. Er fühlte sich struppig an, als wäre er lange, lange Zeit nicht
gebürstet worden, vielleicht auch noch nie. Ich würde es tun, dachte ich mir,
wenn er es mochte, dieser graue Esel mit dem schöngezeichneten Kreuz auf dem
Rücken, den dunklen, in eine weiße Umrandung eingelegten Augen, der einfach da
war, in den ich meinen Kopf vergrub und einfach weinte. Er blieb stehen und
ließ auch das zu. Und es war mir, als hätte er etwas in mir geöffnet, das für
immer verschlossen zu sein schien. so dass die Lebenskraft wieder durch mich
fließen konnte und ich aufatmete. Schön war es wieder, und heiter und
verträumt, einfach so, und nur weil er da war, dieser kleine, unscheinbare
Esel, den so viele noch immer für dumm, stur und faul halten. Sie hatten wohl
noch keine Eselbegegnung, hatten noch nie wirklich zugelassen hinzusehen, sich
einzulassen auf diese ruhigen Augen, das Verstehen und die Berührung. Es ist
schade, wenn man sich nicht einlassen kann, denn oft sind die unscheinbaren
Dinge, die schönsten Geschenke. Es ist nicht spektakulär und nicht
aufsehenerregend, sondern einfach nur da. Es kümmert ihn nicht, ob es Dich
interessiert oder nicht, ob Du annimmst. Aber es sollte Dich kümmern, ob es
Dich interessiert oder nicht, ob Du ihn annimmst oder nicht, denn es kann Dein
Leben erweitern und bestärken.
„Ich werde Dich Ruairi nennen“, flüsterte ich ihm zu, und er
spitzte seine langen, hochgestellten Ohren, als er meine Stimme vernahm, als
wollt er sie sich einprägen.
„Es ist gut, dass Du zu mir gekommen bist, ganz gleich
warum. Es tut nichts zur Sache, es ist einfach gut“, sprach ich sanft weiter, „Man
muss nicht immer eine Antwort auf ein Warum haben.“
„Ich wünsche, jedem eine Eselbegegnung“, sagte ich
abschließend. Und während ich eine Bürste holte, ihn zu striegeln, senkte der
den Kopf um Halm für Halm des frischen Grases abzuzupfen.
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