0705 Genügsamkeit



Genügsamkeit


Es ist erst wenige Tage her, dass er zu mir gekommen ist, der Esel, den ich Ruairi nannte, erst wenige Tage, und doch hat sich schon alles eingespielt. Ein alter Schuppen, den ich für ihn als Stall herrichtete und seine Schlafstelle weich mit Stroh ausgelegt. Es ist noch Frühling. Es ist noch nicht an der Zeit sich Gedanken zu machen über den Winter, über das Heu, dass er dann brauchen wird, wenn das Gras mit Schnee bedeckt ist, und wer weiß, ob er bleibt. So wie er plötzlich da war, kann er auch wieder gehen. Ich will und kann ihn nicht halten. Es tut auch nichts zur Sache. Jetzt ist er da. Wenn ich in der Früh aufstehe und auf die Wiese trete, dann kommt er zu mir gelaufen, langsam und vorsichtig, auf Eselart eben. Er ist nicht mehr übermütig, wie er es wohl als Fohlen gewesen war, und nicht launisch und unbeherrscht wie ein Pferd. Wenn er merkt, dass ich da bin, hebt er den Kopf und sieht mich an. Dann erst setzt er sich in Bewegung und kommt auf mich zu, legt den Kopf auf meine Schulter und ich streiche durch sein Fell, jeden Morgen. Dann grast er wieder, und ich habe mich daran gewöhnt, dass er kommt und mich begrüßt. Ich setze mich nieder und sehe ihm beim Grasen zu. Bedächtig, nach Eselart, zupft er die Halme ab. Er ist genügsam. Ein Platz zum Schlafen, frisches Wasser und Gras zum Abzupfen, das ist alles was er braucht. Ich bin genügsam, so wie der Esel. Vielleicht hat er deshalb zu mir gefunden. So viele Dinge, die es zu kaufen gibt, doch ich brauche sie nicht. Ich habe es probiert, aber es machte mich weder glücklicher noch unglücklicher, nur belasteter, denn auch um die Dinge muss man sich kümmern. Man muss sie putzen oder abstauben, man muss sie benutzen, dass sie nicht kaputt werden, und doch stiehlt es einem nur die Zeit. Genügsam wie ein Esel, der das Gras und das Wasser und den Wind und die Sonne als Selbstverständlichkeit sieht. Wahrscheinlich nicht einmal das. Er nimmt es hin, einfach so, ohne über Selbstverständlichkeit oder anderes nachzudenken.  Genügsam wie ein Esel, und doch gibt es Dinge, die sich nicht kaufen lassen, und doch niemals zu viel werden können. Die Begegnung, die mir eine neue Welt, Deine Welt eröffnet, wenn Du sie mir zugänglich machst. aber auch mich dazu bewegt Dir meine zu öffnen. Ein Miteinander im Sonnenschein oder im Mondlicht. Nichts weiter, und doch etwas, das meine Welt strahlen lässt. Der Moment, in dem ich Dir beistehen kann in Sorgen, Ängsten und Nöten, aber auch der, da Du mir von Deinem Glück berichtest und ich erleben darf wie Du auflebst. Genügsam wie ein Esel. Wenn er zu mir kommt und seinen Kopf auf meine Schulter legt, wenn ich meine Hand durch sein Fell gleiten lasse, dann ist es eine wortlose Begegnung, eine, die meinen Tag und mein Leben bereichert. Er muss mich nicht erst fragen ob mir das recht ist oder ob ich ihn mag, er spürt es, dass ich bereit bin ihn an- und aufzunehmen, für eine Weile oder für immer, wie es sich ergibt. Vielleicht hat er auch beschlossen hier seinen Lebensabend zu verbringen, an einem Ort, an dem er Ruhe findet. Es könnte sein, dass er als Arbeitstier diente, bis er nicht mehr die Kraft hatte und von seinem Arbeitgeber fortgeschickt wurde. Wie der Esel in dem Märchen. Immer noch geschieht es. Und was kann man mit einem alten Esel schon machen? Er hat keinen Nutzen. Und dann ist das, was er in seiner Genügsamkeit benötigt, immer noch zu viel. Nutztiere müssen sich rechnen, wenn auf den Zentimeter ausgerechnet wird wie viel Platz er haben muss, wenn das Heu zum bestmöglichen Preis gekauft wird, wenn die Aufwände so gering und der Ertrag so hoch wie möglich ausfallen soll. Doch wenn er älter wird, dann schwindet der Ertrag. Er ist nur mehr ein Kostenfaktor. Er kostet Zeit und Geld. Auch wenn er nichts bringt, muss man sich um ihn kümmern. Alte Menschen sind Kostenfaktoren. Sie bringen irgendwann nichts mehr und sind nur mehr ein Kostenfaktor, für die Krankenkassen und die Allgemeinheit. Und doch, er kann noch seinen Kopf auf meine Schulter legen und ich kann ihn streicheln. Für mich ist er kein Kostenfaktor, kein Nutztier, sondern ein Lebewesen, das Recht auf Raum und Zeit und Leben hat, so wie ich. Genügsam wie ein Esel bin ich, aber es sind die Momente der Ruhe und des Friedens.

„Es ist gut, dass Du da bist. Es genügt“, sage ich, und er trabt weiter, um die Grashalme an einer anderen Stelle abzuzupfen. Vielleicht mache ich eine Wanderung und nehme ihn mit.

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