Fraglos
Es geschah an keinem besonderen Tag irgendwo in den Weiten
Irlands in der Nähe des Meeres. Der alte Esel graste friedlich, doch besonnen.
Auf Eselart. Er wusste nicht wo er hinsollte. Das grasen half. Es war etwas
Vertrautes, und Esel mögen Vertrautes. Es ist wie eine kleine Meditation über
das Leben. Sacht abzupfen, zermahlen, hinunterschlucken. Immer im selben
Rhythmus. Er hatte nun kein zu Hause mehr. Alt war er geworden und nicht mehr
belastbar, doch er war ein Nutztier, das belastbar sein muss. Ab und an hob er
den Kopf und ließ ihn übers Meer wandern, doch das war nicht vertraut. Das
verunsicherte ihn, denn von seiner Weide aus hatte er das Meer nicht sehen
können. Nur das Grasen, das war wie zu Hause. Es war Leben um ihn gewesen, doch
jetzt war er alleine. Es waren ihm Schafe begegnet, doch diese interessierten
sich nicht für ihn. Sie blieben für sich. Wohl hatten sie ihn beäugt.
Wahrscheinlich hatten sie sich gefragt was der auf ihrer Weide verloren hatte,
doch dann wandten sie sich auch schon wieder ab, fressend, kauend, sich in die
Herde fügend, und er ging weiter, suchte sich einen Platz für sich alleine, als
ihn ein Geräusch aufsehen ließ. Es war nicht ungewohnt, doch hier hatte er es
nicht vermutet. Ein kleiner schwarz-weißer Border-Collie war aufgetaucht.
Ungestüm sprang er über die Wiese, und als er ein einzelnes Schaf entdeckte,
das unweit des Esels stand, hielt er es offenbar für seine Pflicht dieses
vereinzelte Schaf zu seiner Herde zurück zu treiben. Immer und immer wieder
lief er neben dem Schaf auf und ab, das sich auch tatsächlich in Bewegung
setzte, aufgewühlt durch das rastlose Herumgehüpfe und –gelaufe. Doch es lief
in die falsche Richtung. Sofort stellte sich der Collie dem Schaf in den Weg,
um es umzudirigieren. Wieder ein paar Schritte des Schafes, immer noch in die
falsche Richtung. Das konnte er nicht hinnehmen. So schnappte er sich das
vordere Bein, um es noch eindringlicher dirigieren zu können. Endlich gelang es
und das Schaf trottete zu den anderen, wo es hingehörte. Dann wandte der Hund
sich dem Esel zu, nachdem er ihm sein Können auf so eindrucksvolle Weise
gezeigt hatte. Doch der Esel blieb gleichmütig. Zuerst war er noch gelaufen,
doch jetzt verlangsamte der Hund seinen Schritt. Vorsichtig, ja behutsam fast
näherte er sich dem grauen Esel an, der ihn still beobachtete, die Ohren gerade
aufgerichtet, aufmerksam und interessiert. Dann war er so nahe, dass sich ihre
Nasen beinahe berührten. Eine Eselnase. Eine Hundenase. Ausgiebig
beschnupperten sie einander. Der Hund war auch schon alt. So wie der Esel, doch
das hatte seine Lebensfreude nicht gedämpft. Der Esel zupfte ein paar Grashalme
ab, das Vertraute mit dem Unvertrauten in Einklang bringend. Die Ruhe mit der
Unruhe. Dann sah er den Hund wieder an. Ob er auch Fliegen verscheuchen wollte,
weil er so mit dem Schweif wedelte? Langsam trottete der Esel weiter, nur ein
paar kleine, tänzelnde Schritte. Der Hund blieb um ihn. Und in der
Abenddämmerung, als sich die Sonne blutrot am Himmel niederließ, konnte man
sehen – so man gerade in der Gegend und aufmerksam war – wie ein Hund und ein
Esel gemeinsam voranschritten. Der Esel bedächtig. Auf Eselart. Der Hund
springend und schwanzwedelnd. Auf Hundeart. So führte der Collie seinen neuen
Freund in sein zu Hause, in dem der alte Esel Aufnahme fand. Es tut nichts zur
Sache ob Du ein Esel bist oder ein Hund. Auch nicht ob Du Dich nach Eselart
benimmst, weil Du ein Esel bist oder nach Hundeart, weil Du ein Hund bist.
Beides ist nebeneinander möglich und bereichert unser Leben. Keiner von beiden
fragte ob sich der andere nicht ändern sollte, denn es wäre nicht passend
gewesen. Der eine bereicherte den anderen, auf je seine Art, und nachts – und das
hättest Du auch nicht sehen können, wenn Du zufällig in der Gegend gewesen
wärst – da schlich sich der Hund aus dem Haus und legte sich neben seinen neuen
Freund in den Stall. Und da waren Esel- und Hundeart gleich.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen