Das weite Feld
Es gibt Tage, da erscheint mir das Leben wie eine Schlucht,
eng und lichtlos. Links und rechts erheben sich massive Granitwände, so hoch,
dass sich die obere Kante in wabernden Nebelschwaden verliert. Links und rechts
begrenzt, der Rückweg verschlossen und nur ein schmaler Weg, den ich vorwärts
gehen kann, so schmal, dass ich mich seitwärts drehen muss um mir nicht die
Arme an dem zerklüfteten aufzureißen. Beängstigend eng ist es in dieser
Schlucht, so dass ich danach trachte so schnell wie möglich vorwärts zu kommen,
ohne das Ende absehen zu können. Gibt es denn ein Ende? So lange man mitten
drinnen ist scheint es, dass sich niemals wieder etwas ändern kann,, niemals
wieder etwas anders sein wird, doch mit einem Mal, völlig unvermutet zumeist,
endet der Fels, als wäre er plötzlich, ungesehen und ohne ein Geräusch zu
verursachen, in sich zusammengebrochen und ich bin nicht mehr beengt, nicht
mehr eingeschränkt, sondern entlassen, mitten auf einem weiten Feld, einem
blühenden Weizenfeld. Sanft wiegen sich die Halme mit den vollen Ähren im Wind,
goldgelb glänzend im nachmittäglichen Schein des Lichts. Bin ich denn wirklich
schon am Nachmittag angekommen, am Nachmittag meines Lebens? Wenn das Leben wie
ein Tag ist, so muss ich mir eingestehen, dass ich den Zenit bereits hinter mir
gelassen habe. Die strahlende, manchmal gar versengende Kraft der Mittagssonne
hat nachgelassen. Stark und heißblütig war sie, doch nun ist sie ruhiger
geworden, sanfter, so wie ich. So manche Torheit, die mich in Rage gebracht
hätte, dereinst, mitten zwischen den Felsen, die das Aufbegehren
herausforderten, lassen mich nunmehr nur mehr sanft lächeln. Es ist wie es ist,
habe ich mittlerweile gelernt, doch nicht nur zu sagen, sondern auch zu
verstehen. Hinnehmen, was hingenommen werden muss, und ändern, was geändert
werden kann. Meine Hände streifen die Ähren, während ich vorwärts gehe und mich
freue, ohne genau zu wissen worüber. Ich tue es einfach. Schlicht und einfach.
Es ist was es ist, bis ich das Ende des Feldes erreiche. Vielleicht bist Du
auch noch da, am Nachmittag unseres Lebens, und vielleicht reichst Du mir auch
noch die Hand. Manchmal denke ich, es wäre gut, wenn es so wäre. Wenn es nicht
so ist, dann wird wohl auch das seine Gründe haben. Es ist was es ist. Neben
dem Feld liegt ein weiteres, das nur durch einen schmalen Weg von dem einen,
auf dem ich mich befinde, getrennt wird. Das andere Feld wirkt wie frisch
angelegt. Heiter und ausgelassen tobt ein Kind darauf, noch am Vormittag des
Lebens stehend. Die Sonne ist im Aufsteigen begriffen, und so weit wie sie vom
Zenit noch entfernt ist, ist sie es bei mir schon wieder. Es ist noch
unbekümmert, das Kind, weil es noch nicht weiß, was auf es zukommt. Ich könnte
ihm davon erzählen, vom Leben. Vielleicht hört es zu, aber es nimmt es wie jede
andere Geschichte, wie ein Märchen. Ich stehe auf dem Weg und es kommt auf mich
zugelaufen. Atemlos vor Freude und Glück. Warum? Einfach so, pure Lebensfreude,
die noch kein Unbill kennt und nichts, was gegen die Freude spräche. Es ist was
es ist. Auch wenn es davon noch nichts weiß, so versteht es diese Worte, indem
es sie einfach lebt. Schlicht und einfach. Ich kann ihm zusehen, aber ich kann
nicht mehr zurück zu einem Anfang, doch ich kann hoffen, dass sich mein nahendes
Ende als neuer Anfang gestaltet, wie ein Aufbruch in eine andere Ungewissheit.
So wie ich einst vom Leben nichts wusste, so weiß ich jetzt nichts vom
Nicht-Leben. Nach und nach werden die Ähren auf meinem Feld vertrocknen und
eingehen. Der Tag wird sich endgültig seinem Ende zuneigen, die Sonne
untergehen und ich werde in die Dunkelheit verschwinden. Und ich werde wissen,
dass da die Schlucht war, aber auch das Feld. Es ist gut es zu wissen. Schlicht
und einfach. Und dann werde ich wohl auch das nicht mehr wissen. Es hat keine
Bedeutung mehr. Es ist nicht zu ändern. Es ist was es ist.
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