Mütter , Schwestern, Töchter – Zum Karfreitag
Gemessen und leise nähere ich mich Dir, um neben Dir
niederzuknien, so wie Du kniest, um Dir auf gleicher Augenhöhe zu begegnen.
Sacht und respektvoll lege ich meine Hand auf Deine Schulter und Du zuckst
zusammen unter der unerwarteten Berührung. Der Schmerz und die Tränen hatten
Deine Sinne eingeschränkt, so dass Du mein Auf-Dich-Zukommen nicht bemerktest.
Erst jetzt, da ich Dich berühre, kommst Du langsam ein wenig zurück, enttauchst
ein Stück weit dem Meer der Trauer und der Tränen.
„Wen beweinst Du, meine Schwester? Ich will mit Dir weinen
und das Trauergewand anlegen.“, spreche ich mich Dir.
„Nein, Du bist nicht meine Schwester, Du bist anders als
ich.“, entgegnest Du rüde, und rückst von mir ab, suchst Dich meiner Berührung
zu entziehen.
„Ja, ich bin anders als Du, weil keine von uns wie die
andere ist. Ich habe vielleicht eine andere Religion als Du und gebe Gott einen
anderen Namen, der doch unbeschadet dessen Einer ist. Ich habe vielleicht eine
andere Hautfarbe, spreche eine andere Sprache und komme aus einem anderen Land.
Ich habe sicherlich einen anderen Werdegang und meine eigene Geschichte, wie Du
die Deine. Aber trotz all dieser Unterschiede, die im Grunde bloß marginal und
unbedeutend sind, gibt es etwas, was es möglich macht, dass wir uns einander
annähern, ja, was mich veranlasst Dich Schwester zu nennen.“, spreche ich mich
Dir, und ich merke, dass Du meinen Worten Aufmerksamkeit schenkst.
„Was kann das sein, was es uns möglich macht uns einander
anzunehmen, ja, was Dir das Recht zu geben scheint mich Schwester zu nennen?“,
sprichst Du Dich mir.
„Über all diese Verschiedenheiten hinweg sind wir alle
entweder Mutter oder Schwester oder Tochter, und als solche kann ich Deinen
Verlust, Deine Trauer und Deinen Schmerz mitempfinden und nachvollziehen. Wenn
Du jemanden verlierst, den Du liebst, dann geht ein Riss durch Dein Herz und
Dein Denken, und ich kann diesen Riss sehen.“, spreche ich mich Dir.
„Über all diese Verschiedenheiten hinweg sind wir alle
entweder Mutter oder Schwester oder Tochter, und wenn ich Dich leiden sehe,
weil jemand leidet, den Du liebst, so kann ich Dein Leid nachvollziehen und Dir
meine Hand reichen, Dir meine Unterstützung schenken.“, sprichst Du Dich mir.
„Über all diese Verschiedenheiten hinweg, sind wir alle
entweder Mutter oder Schwester oder Tochter, und wenn Tod oder Krankheit oder
Not an Deine Türe klopft, so kann ich nachvollziehen wie es Dir geht, kann Dich
umarmen und Dir den Trost der Mitfühlenden bieten.“, spreche ich mich Dir.
„Über all diese Verschiedenheiten hinweg, sind wir alle entweder
Mutter oder Schwester oder Tochter, so dass wir keinen Krieg und keine Invasion
verstehen, denn in jedem Krieg trauern Mütter um ihre Kinder, trauern
Schwestern um ihre Geschwister, trauern Töchter um ihre Eltern. Niemals können
wir das wollen!“, sprichst Du Dich mir.
„Wen beweinst Du, meine Schwester?“, frage ich abermals.
„Ich beweine den Tod der Kinder, Geschwister und Eltern, die
die Uneinsichtigkeit und die Dummheit verantworten, da sie nicht den Weg
zueinander fanden, über all die Verschiedenheiten hinweg.“, sprichst Du Dich
mir.
„So will ich mit Dir weinen, Schwester, und mit Dir gehen
einen Weg zu finden, der die Tränen nicht mehr kennt.“, spreche ich mit Dir.
Hand in Hand, Mütter, Schwestern, Töchter, auf dem einen
Weg, lasst uns gehen!
2 Kommentare:
Sehr schön geschrieben, finde ich - diese Geschichte sollte weit in die Welt hinaus getragen werden! Weiter so!
Herzliche Grüße,
Elke v. Spiczak
http://www.human-riches.de
Vielen Dank! Deine Worte sind sehr ermutigend!
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